«Mit der Aufhebung der Amtszeitbeschränkung hat Xi Jinping aus dem ‹Ein-Parteien-Staat› einen ‹Ein-Mann-Staat› gemacht», sagt der Politologie-Professor Wu Qiang. «Das ist eine ziemlich tiefgreifende Veränderung und schadet dem politischen System der Volksrepublik China und der zukünftigen Entwicklung des Landes.»
Das sitzt. Angst, solche Aussagen zu machen, habe er nicht, sagt Wu. Seine Stelle an der renommierten Tsinghua-Universität hat er bereits verloren, nachdem er sich weigerte, auf Kritik an der Regierung zu verzichten.
Xi hat die Parteiflügel gestutzt
Klar: China war auch vor Xi keine Demokratie. Aber seine Vorgänger Hu Jintao und Jiang Zemin gehörten verschiedenen Fraktionen innerhalb der Partei an. Es gab ein Ringen um die Macht, verschiedene Flügel in der Partei hielten sich gegenseitig in Schach. Xi dagegen hat es geschafft, die Macht auf sich zu konzentrieren. Unter ihm haben andere Flügel der Partei nicht mehr viel zu melden.
«Zuvor gab es eine Wahl im kleinen Kreis, also innerhalb der Partei. Mit geregelter Nachfolge. Eine Art Demokratie in der Partei, und nicht ein Machtmonopol von lediglich einer Person oder einer Familie.» Wie lange Xi an der Macht sein wird, ist schwer zu sagen. Ein offizieller Nachfolger ist nicht in Sicht. Somit ist auch eine geordnete Nachfolgeregelung unwahrscheinlich.
Doch diese Fokussierung auf eine Person birgt Risiken. Nicht zuletzt für Xi Jinping selbst: «Die Öffentlichkeit ist jetzt sehr vorsichtig, sie kann Xi nicht direkt kritisieren. Aber andererseits heisst das, er trägt für jede Politik direkt die Verantwortung. Die Bevölkerung ist intelligent, die sieht das auch.»
Sprich: Ein grosser Misserfolg würde nun direkt auf Xi zurückgeführt werden. Ein Beispiel sei der Handelskonflikt – insbesondere, wenn es nicht bald eine Einigung gibt. Der Druck auf Chinas Regierung sei hoch, sagt Wu.
USA erteilt China Lektionen
Gleichzeitig sei der Handelskonflikt eine der wenigen Möglichkeiten für Neuerungen. «Zukünftige Reformen hängen zu einem grossen Teil vom Ausland ab, allen voran den USA. Denn regierungsintern fehlt jetzt dieser Wettbewerb zwischen den Fraktionen.»
Chinas Regierung lerne also dank den Verhandlungen mit den USA. US-Politiker und Anwälte erteilen China Lektionen, ist Wu überzeugt. Zumindest in der Wirtschaft. Ob China sich wirklich reformieren wird, das mag der Politikwissenschaftler nicht vorhersagen.
Ganz zu schweigen von demokratischen Reformen. Er zeigt sich pessimistisch, in China selbst kann er seine Ansichten sowieso nicht publizieren. «Ein Teil der chinesischen Akademiker vertritt den offiziellen Regierungsstandpunkt, sie dienen der Regierung, loben China als Modell auch für andere Länder. Und die restlichen Akademiker haben die Hoffnung längst aufgegeben, dass Chinas Marktwirtschaft zu einer Demokratisierung führt.»
Der Trend geht nämlich gerade in die entgegengesetzte Richtung: Mehr Kontrolle, mehr Repression. Die Macht im Staat konzentriert sich immer mehr auf den Präsidenten. Auch an diesem Volkskongress, ein Jahr nachdem die Amtszeitbeschränkung abgeschafft wurde, sitzt Xi fest im Sattel. Auch wenn die Machtkonzentration auf eine Person das Klumpenrisiko erhöht – ein Ende der Ära Xi ist derzeit nicht in Sicht.