Darum geht es: Mehr als zwei Jahre, nachdem der einstige kosovarische Präsident Hashim Thaci festgenommen wurde, beginnt vor dem Kosovo-Spezialgericht der Prozess gegen ihn und drei weitere Personen: Kadri Veseli, Jakup Krasniqi und Rexhep Selimi. Die Anklage wirft ihnen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit während des Kosovokriegs und kurz danach vor. Alle Angeklagten waren führende Figuren in der kosovarischen Befreiungsarmee UCK. Nach Ende des Kosovokriegs waren sie alle prägende Personen in der kosovarischen Politik.
Wer war die UCK? Die kosovarische Befreiungsarmee UCK wurde in den 1990er-Jahren gegründet, um der jahrelangen Unterdrückung der Kosovo-Albaner durch das serbische Regime von Slobodan Milosevic auch bewaffnet entgegenzutreten. Sie war eine eher dezentral organisierte Guerillatruppe.
Das wird den Angeklagten im Detail vorgeworfen: In einer Reihe von Haftanstalten der UCK in Kosovo und in Albanien soll es in den Jahren 1998 und 1999 unter anderem zu Folter von Gefangenen und fast 100 Morden gekommen sein, für die die Angeklagten verantwortlich gemacht werden. Bei den Opfern handelt es sich um Serben, Roma und sogenannte kosovo-albanische «Kollaborateure». Als solche wurden auch politische Gegner angesehen. Die Staatsanwaltschaft wirft den Angeklagten vor, Teil einer sogenannten gemeinschaftlichen kriminellen Unternehmung gewesen zu sein. Sie sollen an der Spitze der Befehlskette gestanden und mittels Gewalt und Einschüchterungen versucht haben, die Kontrolle über Kosovo zu erlangen.
Was hat ein Schweizer Ex-Ständerat damit zu tun? Das Kosovo-Spezialgericht geht auch auf einen Bericht des ehemaligen Tessiner FDP-Ständerats Dick Marty zuhanden des Europarats zurück. Marty wies darin auf mögliche Verbrechen der UCK hin. Der Bericht sorgte unter anderem für grosses Aufsehen, weil der UCK darin auch Handel mit Organen von Gefangenen vorgeworfen wurde. Von diesem Vorwurf ist allerdings nichts übriggeblieben. In der Anklage findet sich dazu kein Wort.
Warum findet der Prozess nicht in Kosovo statt? Das Kosovo-Spezialgericht ist ein Gericht nach kosovarischem Recht – es tagt aber im niederländischen Den Haag. So soll etwa der Zeugenschutz besser gewährleistet werden. Das kosovarische Parlament hat der Etablierung des Gerichts zugestimmt. Dem Entscheid ging allerdings massiver internationaler Druck aus den USA und der EU voraus.
Wie wird das Gericht in Kosovo gesehen? Das Spezialgericht wird von der Mehrheit der Kosovo-Albaner als ungerecht empfunden, da es sich nur mit Verbrechen von albanischen Tätern beschäftigt. Zwar hat sich das internationale Jugoslawien-Tribunal mit den Verbrechen der serbischen Haupttäter auseinandergesetzt – allerdings nur mit jenen hochrangiger Politiker und Armeevertreter. In den Augen vieler Kosovarinnen und Kosovaren stellt das Spezialgericht in Den Haag die UCK unter Generalverdacht. Das sieht auch die aktuelle kosovarische Regierung so: Die Verteidigungskosten übernimmt der kosovarische Staat.
Angehörige von mutmasslichen Opfern der UCK, darunter auch Kosovo-Albaner, sehen das Gericht dagegen als letzte Chance auf Gerechtigkeit. Sie sagen, dass das Gericht nötig sei, weil es die kosovarische Justiz in den vergangenen Jahren versäumt habe, mutmassliche Verbrechen der UCK zu untersuchen.
Wann kommt das Urteil? Der Prozess dürfte mehrere Jahre dauern. Mehr als 300 Zeuginnen und Zeugen sollen vor dem Gericht aussagen.