SRF News: 755 Mitarbeiter weniger, das klingt nach viel. Ist es das auch?
David Nauer: Ja, das ist sehr viel. Zum Vergleich: Die USA haben letztes Jahr nur 35 russische Diplomaten ausgewiesen. Die Zahl der betroffenen Mitarbeiter der amerikanischen Botschaft in Moskau ist also mehr als zwanzigmal höher.
Müssen die USA ihre diplomatische Tätigkeit deswegen einschränken?
Die US-Botschaft wird nicht mehr so funktionieren wie vorher. Längere Wartezeiten bei der Visa-Vergabe sind möglich. Allerdings geht man davon aus, dass die USA das klassische diplomatische Geschäft – also das Pflegen der Beziehungen der beiden Länder – in Zukunft immer noch betreiben können. Unter den 755 Betroffenen sind nämlich längst nicht nur eigentliche Diplomaten. Bei vielen handelt es sich um russische Mitarbeiter, also russische Bürger, die zum Beispiel im Visa-Zentrum arbeiten, als Fahrer, Köche und Übersetzer. Die Amerikaner müssen diese Leute jetzt entlassen. Sie müssen den ganzen Apparat, der die Botschaft bisher umsorgt hat, herunterfahren. 455 Diplomaten können bleiben; gleich viele wie es russische Diplomaten in den USA gibt.
Unter den 755 Betroffenen sind nicht nur Diplomaten, sondern auch Fahrer, Köche und Übersetzer.
Das heisst, die Massnahme ist vor allem symbolisch?
Der Kreml erschwert den Amerikanern damit zwar das Leben. Aber die symbolische Wirkung der Massnahme ist sicher grösser als der effektive Schaden. Die USA wollen gegen Russland ziemlich weitreichende Wirtschaftssanktionen ergreifen. Diese sind viel schmerzhafter, weil sie die russische Wirtschaft langfristig erheblich beschädigen. Präsident Wladimir Putin kann den US-Sanktionen nichts Gleichwertiges entgegensetzen, da Russland ökonomisch zu schwach ist, um die USA ernsthaft mit Sanktionen treffen zu können. Deswegen knöpft sich der Kreml die US-Botschaft in Moskau vor.
Glaubt Putin nicht mehr an eine Verbesserung der Beziehungen?
Nein. Das hat er gestern sogar explizit gesagt. Man habe lange auf ein freundlicheres Klima gewartet. Aber dazu komme es jetzt wohl nicht mehr so schnell. Die Russen hatten tatsächlich gehofft, dass sich die Beziehungen unter dem neuen Präsidenten verbessern würden. Doch der Kongress hat diese Hoffnungen nun mit den neuen Sanktionen zerstört. In Russland ist man überzeugt, dass es in den USA fast krankhafte, anti-russische Kräfte gibt, die gar nicht anders könnten, als den Konflikt anzuheizen. Moskau sieht sich also als Opfer einer Kampagne. An einer selbstkritischen Einschätzung fehlt es.
In Russland ist man überzeugt, dass es in den USA fast krankhafte, anti-russische Kräfte gibt.
Kann Putin den Rauswurf der Diplomaten dennoch als Erfolg verkaufen?
Auf jeden Fall. Mir scheint, dass der russische Schachzug recht geschickt war. Denn er wirkt gleichzeitig stark und zurückhaltend. Einerseits geht es um eine sehr hohe Zahl von Personen, die gehen müssen. Das ist ein starkes Signal. Andererseits stellt Russland bloss ein Gleichgewicht wieder her: In Moskau dürfen künftig nur noch so viele US-Mitarbeiter tätig sein, wie in der russischen Botschaft in Washington arbeiten, nämlich 455. Symbolisch gesehen, begegnen sich damit zwei Grossmächte auf Augenhöhe. Das kommt in Russland gut an.
Das Gespräch führte Hans Ineichen.