Dem Journalisten Paul-Anton Krüger ist etwas gelungen, was nur noch wenigen Journalisten gelingt: Er reiste nicht nur in den Jemen, sondern konnte sowohl den Süden als auch den Norden, der von den Huthi kontrolliert wird, besuchen. Im Gespräch schildert er, in welch desolater Lage er Land und Menschen vorgefunden hat.
SRF News: Wie gross waren die bürokratischen Hürden, um diese Reise machen zu können?
Paul-Anton Krüger: Ziemlich gross. Deswegen hat es auch anderthalb Jahre gedauert. Seit August 2016 kann man nicht mehr kommerziell nach Sanaa fliegen. Und seit ungefähr Ende 2016 gibt die Koalition auch keine Genehmigung mehr, auf den UN-Maschinen mitzufliegen, die noch in den Norden fliegen.
Die einzige Option die man im Moment hat, ist nach Aden in den Süden zu fliegen und dann zu sehen, wie man von dort hochkommt. Das bedeutet, dass man ein Visa von zwei Regierungen braucht, eines der international anerkannten und eines der de facto Regierung, den Huthis. Und die internationale Militärkoalition unter der Führung Saudi-Arabiens versucht zu verhindern, dass Journalisten in den Norden kommen.
Sie waren in Aden, im von der Koalition kontrollierten Gebiet im Süden des Landes. Dort finden seit drei Jahren keine Kämpfe mehr statt. In welchem Zustand ist diese Stadt?
Sie ist nach wie vor einem verheerenden Zustand. Die ausgebombten Gebäude stehen immer noch, vom Wiederaufbau ist nicht viel zu sehen. Die Sicherheitslage ist prekär. Einen Tag bevor ich gekommen bin, gab es einen Bombenanschlag auf einen Provinzgouverneur. Es gibt regelmässig Schiessereien in der Stadt und die jemenitischen Kollegen haben mir empfohlen, mich als Westler möglichst nicht in der Stadt zu bewegen.
Was den Wiederaufbau und die Stabilisierung Jemens angeht, ist Aden sicher kein Vorzeigeobjekt für die Koalition.
Im gesamten Süden hat es in den letzten Tagen Massenproteste gegeben, weil auch die international anerkannte Regierung dort keine oder nur einen Teil der Gehälter auszahlt. Die Menschen sagen: Drei Jahre haben wir quasi keinen Krieg mehr, aber die Situation wird jeden Tag schlechter. Was den Wiederaufbau und die Stabilisierung Jemens angeht, ist Aden sicher kein Vorzeigeobjekt für die Koalition.
Ist also auch die Bedeutung des international anerkannten Präsidenten Abed Hadi gering?
Der Süden wird mittlerweile dominiert von separatistischen Milizen. Die jemenitische Flagge sieht man in Aden im Prinzip nur am Präsidentenpalast und den umliegenden Gebäuden. Die Checkpoints werden dominiert von Milizionären einer südlichen Separatistenbewegung. Wenn Sie weiter Richtung Norden fahren, kommen noch andere Gruppen dazu. Aber eine wirkliche Präsenz des Präsidenten sieht man nicht.
Während in Genf über einen möglichen Frieden verhandelt werden soll, ist Präsident Hadi in den USA.
Die Regierung agiert weitestgehend von Riad aus. Es sind zwar immer ein paar Minister in Aden, aber wegen der Sicherheitslage meistens auch nicht für lange. Der Präsident ist jetzt gerade wieder zur medizinischen Behandlung in die USA geflogen. Das ist schon sehr bezeichnend für die Situation dort. Während in Genf über einen möglichen Frieden verhandelt werden soll, ist Herr Hadi in den USA.
Lebensmittel sind für viele Menschen unerschwinglich teuer geworden. Wie gestalten die Menschen ihren Alltag?
Das kommt darauf an, von wem man spricht. Es gibt in Sanaa und auch in Aden in den Supermärkten alles, was man sich vorstellen kann. Das Problem ist nur, dass die Menschen kein Geld mehr haben, das zu kaufen. Und jedes Mal, wenn die Preise steigen – und das tun sie kontinuierlich seit drei Jahren – fallen wieder ein paar hunderttausend durch das Raster durch. Sie sind nicht mehr in der Lage, sich aus eigener Kraft zu ernähren.
Auf Märkten in Sanaa verkaufen Menschen ihre Wohnungseinrichtungen, weil sie nichts anderes mehr haben.
Die Menschen versuchen durchzukommen. Viele die etwas hatten, haben ihr Gold verkauft. Sie haben teilweise ihre Waffen verkauft. Man kann in Sanaa auf Märkte gehen, wo Menschen ihre Wohnungseinrichtungen verkaufen, weil sie nichts anderes mehr haben. Man sieht die Armut im ganzen Land, egal ob im Süden oder im Norden. Sie haben immer bettelnde Leute und Kinder, die versuchen ihnen selber gepflücktes Obst oder Taschentücher zu verkaufen. Das Land steht kurz vor dem Kollaps.
Fast der gesamte Bedarf an Lebensmittel wird in den Jemen importiert. Der Grossteil über die Hafenstadt Hudaydah, die unter der Kontrolle der Huthi steht, nun aber auch von Regierungstruppen belagert wird. Gibt es in dieser umkämpften Stadt überhaupt noch einen Alltag für die Menschen?
Es gibt wieder einen Alltag. Jemenitische Freunde, die drei Wochen vor unserer Reise dort waren, haben von einer Geisterstadt berichtet. Nachdem der geplante Sturmangriff der Milizen mit Unterstützung der Vereinigten Arabischen Emirate fürs Erste abgewendet worden ist, sind einzelne Menschen zurückgekehrt. Die Menschen, die da sind, gehen wieder auf die Strasse, aber die Situation ist prekär. Es landen immer wieder Geschosse in der Stadt. Am Flughafen wird nach wie vor gekämpft, und es gab in den vergangenen Wochen immer wieder Tote.
Die Situation ist prekär. Es landen immer wieder Geschosse in der Stadt.
Die Versorgungslage in Hudaydah selber ist katastrophal. Das ganze Gebiet war vor dem Krieg schon die ärmste Provinz in Jemen und leidet jetzt besonders unter den Kampfhandlungen. Man kann sich nicht wirklich frei bewegen. Und obwohl Hudaydah der Schlüsselhafen ist, ist die Situation in der Stadt selber sehr schwierig.
Das Gespräch führte Simone Hulliger.