Tausende Pager sind in Libanon an verschiedenen Orten im Land fast zeitgleich explodiert. Mindestens neun Menschen starben, mehr als 2750 Personen wurden verletzt. Die pro-iranische Hisbollah-Miliz macht Israel für die Explosionen verantwortlich. Die Pager seien wahrscheinlich auf der Lieferkette mit Sprengstoff präpariert worden, erklärt Raphael Reischuk, Gründer und Vorstandsmitglied des nationalen Test-Instituts für Cyber-Sicherheit.
SRF News: Sie testen Geräte unter anderem auf ihre Sicherheit hin. Wie konnten so viele Pager gleichzeitig explodieren?
Raphael Reischuk: Wenige Stunden nach den Ereignissen kann man nur spekulieren. Bekannt ist, dass bereits 1995/96 Geräte explodierten. Damals waren es Telefone, die technisch modifiziert wurden. Neu ist die Flächenwirkung, die jetzt erzielt wurde. Viele Opfer wurden zeitgleich erfasst.
Diskutiert werden zwei Möglichkeiten, wie die Pager zur Explosion gebracht wurden. Welches sind diese?
Ungefähr vor zehn Jahren stellte ein Forscher auf einer Sicherheitskonferenz vor, wie man das Batterie-Management solcher Geräte übernehmen kann. Die Batterie ist bekanntlich nicht nur ein Speicher, sondern weist auch Elektronik auf, um Lade- und Entladevorgänge und etwa die Temperatur zu kontrollieren. Es zeigte sich, dass solche Geräte über Schwachstellen in der Firmware angesteuert werden können, um die Batterien zu überhitzen. Ob das zu einer Explosion reicht, ist noch nicht ganz klar, aber unwahrscheinlich. Wahrscheinlicher ist, dass eine thermische Instabilität der Batterie benutzt wurde, um eine angebrachte elektrische Sprengkapsel mit einem Brückendraht zu zünden.
Pager gibt es seit den 1980er-Jahren. Sie sind einer der Vorläufer des Handys. Warum sind sie noch zahlreich ein Einsatz?
Pager haben aus Sicht der Privatsphäre den entscheidenden Vorteil gegenüber Smartphones, dass sie nur empfangen können. Damit sind sie schwieriger zu orten, weil es kein Rücksignal gibt und eine Überwachung nicht möglich ist. Ein Pager hat entsprechend auch kein Mikrofon, womit keine sensitiven Daten gesendet werden können. Pager funktionieren zudem nicht nur im Telefonnetz wie etwas 5G, sondern auch im Radio-Netzwerk. Eine Ortung von Akteuren ist also sehr schwierig, selbst wenn sie in der Nähe sind.
Besteht ein Risiko, dass auch Smartphones ferngesteuert und zur Explosion gebracht werden könnten?
Das Risiko besteht grundsätzlich. Aber bereits beim Telefon 1996 wie auch in den aktuellen Fällen mit den Pagern ist davon auszugehen, dass die Lieferketten kompromittiert wurden. Die Beschaffungswege der Hisbollah sind deutlich komplexer als bei einem Normalverbraucher, der bei einem Internetanbieter einkauft. Wenn ein Schweizer Bürger also ein Smartphone bei einem Hersteller kauft und ausschliessen kann, dass es viele Zwischenhändler gibt, ist es unwahrscheinlich, dass Sprengstoff angebracht wird. Bei den hier verwendeten Mengen Sprengstoff geht es um ein paar wenige Gramm. Sie haben vielleicht die Form einer Batterie und sind als Laie nicht leicht zu erkennen. Entsprechend verwunderlich ist es, dass das von Sprengstoffexperten der Hisbollah nicht entdeckt wurde.
Das Gespräch führte Romana Kayser.