Shire ist eine der grössten Städte in der umkämpften Region Tigray im Norden Äthiopiens. Die Universitätsstadt wurde bislang von den oppositionellen Tigray gehalten. Sie gilt als strategisch wichtig, ein Verkehrsknotenpunkt zu Land und zu Luft. Von hier aus sind weitere Städte in der Region schnell erreichbar. Nun wird gemeldet, dass das äthiopische Militär gemeinsam mit seinem Verbündeten Eritrea die Stadt eingenommen hat.
Rund 100'000 Einwohnerinnen und Einwohner zählte die Stadt einst. Hinzu kamen in den letzten Monaten zehntausende Vertriebene. Vertrieben in diesem Bürgerkrieg zwischen der Volksbefreiungsfront der Tigray (TPLF) und der äthiopischen Zentralregierung. Es ist ein Konflikt, der seit bald zwei Jahren andauert und mit brutaler Härte und beispielloser Skrupellosigkeit geführt wird.
Dabei hätten eigentlich mittlerweile Friedensgespräche stattfinden sollen. Ein Hoffnungsschimmer, Anfang Oktober. Äthiopien und die TPLF hatten sich auf Gespräche geeinigt. Doch sie wurden verschoben. Offenbar aus logistischen Gründen. Und auf unbestimmte Zeit.
Und so bombardierten die Regierungstruppen weiter und die Regierung in der Hauptstadt Addis Abeba erklärte, man wolle die Flughäfen in der Region unter Kontrolle bringen – angeblich, um die Lieferung von humanitärer Hilfe in die Region organisieren zu können. Wirklich glaubhaft klingt diese Begründung nicht.
Die humanitäre Lage in der Region Tigray ist katastrophal. Nach Angaben der UNO sind fast 90 Prozent der knapp sechs Millionen Tigray auf Nahrungsmittelhilfe angewiesen. Es fehlt an Essen, Medikamenten, Benzin. Die Zahl jener Menschen, die verhungerten, steige stark an, berichten Hilfsorganisationen.
Doch wegen der anhaltenden Kämpfe gibt es keine Hilfslieferungen. So kam zum Beispiel seit Ende August, als die Kämpfe nach ein paar Monaten relativer Ruhe wieder aufflammten, kein einziger Konvoi des Welternährungsprogramms mehr in die Region Tigray durch.
Doch die Aufrufe von UNO, von afrikanischer Union und anderen, die Waffen endlich schweigen zu lassen, scheinen in Addis Abeba ungehört zu verhallen. Eine der schwersten Krisen weltweit dauert weiter an.