Die grausamen Bilder von getöteten Zivilistinnen und Zivilisten im Kiewer Vorort Butscha haben am Wochenende für internationales Entsetzen gesorgt – die Strassen waren übersät von Leichen. Ausländische Staatsoberhäupter oder andere Würdenträger – wie die deutsche Aussenministerin Annalena Baerbock reagierten mit scharfen Worten und benutzten in ihren Stellungnahmen auf Twitter das Wort «Kriegsverbrechen».
Das Aussendepartement (EDA) unter Bundespräsident Ignazio Cassis hingegen sprach im Tweet von «Geschehnissen», worauf Schweizer Politikerinnen und Politiker Cassis kritisierten. Gegenüber SRF News nimmt er nun Stellung.
SRF News: Sie haben diese Bilder gesehen. Wie reagieren Sie persönlich darauf?
Bundespräsident Ignazio Cassis: Die Bilder mit diesen Gräueltaten haben uns alle erschreckt, auch mich. Ich hätte nie gedacht, im 21. Jahrhundert in Europa noch solche Gräueltaten sehen zu müssen.
Die Schweiz hat von Geschehnissen gesprochen, Deutschland von Kriegsverbrechen. Was sagen Sie zu den Forderungen, dass die Schweiz die Ereignisse in Butscha stärker verfolgen sollte?
Als allererstes hat die Schweiz – und das haben wir gestern kommuniziert – eine internationale Untersuchungskommission verlangt. Das ist das Wichtigste in diesem Moment, um Klarheit zu schaffen. Wer sind die Täter? Die Täter müssen zur Rechenschaft gezogen werden.
Kriegsverbrechen ist der Entscheid eines Gerichtshofes, nicht ein Wort der Politik.
Beim Vokabular, das man verwendet, ist die Diplomatie immer sehr vorsichtig. «Kriegsverbrechen», das ist der Entscheid eines Gerichtshofes, nicht ein Wort der Politik. Wenn ein normaler Bürger es verwendet, ist es kein Problem. Aber wenn der Bundespräsident dieses Wort benützt, ohne dass ein Gericht es entschieden hat, dann ist dies nicht ganz korrekt.
Nun gibt es Forderungen nach stärkeren Sanktionen, zum Beispiel vonseiten der FDP. Mitte-Präsident Gerhard Pfister will sogar eigenständige Sanktionen der Schweiz. Was sagen Sie dazu?
Stärkere Sanktionen sind durchaus in Erwägung. Die Europäische Union diskutiert sie derzeit. Und wir werden allfällige Sanktionen der EU nochmals ernsthaft überprüfen und allenfalls übernehmen, wie wir es bis jetzt gemacht haben.
Eigenständige Sanktionen aus einem kleinen Land wie der Schweiz haben höchstens symbolischen Charakter.
Eigenständige Sanktionen aus einem kleinen Land wie der Schweiz haben höchstens symbolischen Charakter, weil sie keine Wirkung entfalten können.
Laut dem Embargo-Gesetz könnte die Schweiz auch die Sanktionen eines grossen, wichtigen Handelspartners übernehmen – wie zum Beispiel jene der USA, welche die Öl- und Gaslieferungen aus Russland untersagt haben. Wäre dies eine Möglichkeit?
Grundsätzlich ja. Aber nochmals: Es ist sehr wichtig, dass wir im Herzen von Europa als kontinentale Antwort auf diesen Krieg reagieren, weil wir in der gleichen Schicksalsgemeinschaft wohnen. Und demzufolge müssen wir ähnliche Entscheide treffen, damit erstens die Wirkung gross ist und zweitens wir alle gemeinsam sie tragen können.
Das Gespräch führte Mirjam Spreiter.