Zwei Wochen ist es her, seit Russland den UNO-Sicherheitsrat um eine Dringlichkeitssitzung zu angeblichen Chemiewaffen-Laboren in der Ukraine gebeten hat. Für Beobachter ist das ein Zeichen, dass der Kreml selbst an den Einsatz von Chemiewaffen denkt: Um diesen dann anderen unterzuschieben. Einer davon ist Sicherheitsexperte Oliver Thränert vom Center for Security Studies an der ETH Zürich: «Die Gefahr, dass Putin solche Waffen einsetzt, ist real.»
Russland ignoriert Übereinkommen
Eigentlich dürfte Russland gar keine chemischen Kampfstoffe mehr besitzen. Nach verheerenden Giftgas-Einsätzen im Ersten Weltkrieg, im Vietnam-Krieg und im Ersten Golfkrieg haben sich seit 1997 bisher 193 Staaten dazu verpflichtet, Chemiewaffen zu verbieten und abzurüsten – darunter auch Russland. Bloss hat der Kreml sich allem Anschein nach um die eigenen Zusicherungen foutiert. Das jedenfalls vermuten Experten wie Oliver Thränert. Die Krux: Chemische Waffen können relativ einfach, also auch mit Substanzen, die zivilen Zwecken dienen, hergestellt werden. Deshalb ist die Produktion von Massenvernichtungswaffen kaum überprüfbar.
Die Schweiz versucht das Risiko für die ungewollte Beihilfe zur Erzeugung russischer Chemiewaffen zu beschränken. Die Exportkontrolle unterscheidet dabei drei Kategorien: Kriegsmaterial, doppelt verwendbare Güter und andere chemische Güter.
Kriegsmaterial | Doppelt verwendbare Güter | Andere chemische Güter |
Chemische Kampfstoffe | Stoffe für industrielle und militärische Zwecke | In der Regel Stoffe für zivile Zwecke |
Verboten | Für Export nach Russland verboten, mit Ausnahmen | Nicht bewilligungspflichtig, Export grundsätzlich erlaubt |
Allerdings: Zur dritten Kategorie gehört gemäss Definition auch das Lösungsmittel Isopropanol. Damit können Pharma-Produkte hergestellt werden, aber auch das Giftgas Sarin. 2014 bewilligte der Bund die Lieferung von mehreren Tonnen an eine Firma in Syrien. In ein Land also, in dem dutzende Menschen durch Sarin-Angriffe getötet und unzählige weitere verletzt wurden.
Schweiz will keine ungewollte Beihilfe
Für das Staatssekretariat für Wirtschaft Seco ist der Export von chemischen Stoffen nach Russland ein Dilemma. Einerseits will man keinesfalls indirekt die Erzeugung chemischer Waffen unterstützen, andererseits werden die betreffenden Substanzen auch für medizinische und humanitäre Stoffe benötigt. Jürgen Boehler, der die Exportkontrollen beim Seco koordiniert, appelliert deshalb an die exportierenden Unternehmen: «Es braucht die Verantwortung der einzelnen Firmen, zu eruieren, ob die Endverwendung oder der Endverbraucher solcher Stoffe legitim und plausibel ist.»
Es braucht die Verantwortung der einzelnen Firmen, zu eruieren, ob die Endverwendung oder der Endverbraucher solcher Stoffe legitim und plausibel ist.
Die Unternehmen kommen dieser Aufforderung gemäss eigenen Angaben nach. Roche, Novartis und BASF bestätigen gegenüber SRF News, keine problematischen Güter nach Russland zu liefern. Weiterhin exportiert würden aber Medikamente. Clariant hat sich aufgrund der aktuellen Situation gar komplett aus den Geschäften mit Russland zurückgezogen. Und Syngenta verweist auf den Branchenverband Scienceindustries. Dieser sagt, man halte sich an die geltende Exportkontrolle.
Verbotskonvention kein Hindernis
Allen Bemühungen der Firmen zum Trotz: Will Russland Chemiewaffen produzieren, dürfte das kaum zu verhindern sein. Der Kreml allein entscheidet, ob er sein offizielles Bekenntnis zur Abkehr von solchen Waffen einhält. Oliver Thränert geht nicht davon aus, dass Moskau sich von der Verbotskonvention beeindrucken lässt: «Das ist eines der Grundprobleme. Die Inspektoren können unmöglich ein ganzes Land permanent kontrollieren.»
In Syrien hatte die Verbotskonvention nichts genützt. Auch das Assad-Regime stand offiziell zum Chemiewaffen-Übereinkommen. Eingesetzt wurden sie dennoch, mit fatalen Folgen.