Indien, die fünftgrösste Wirtschaftsmacht der Welt, hat sich aus dem Ukraine-Konflikt bisher weitgehend herausgehalten. Das Land hat sich weder an den westlichen Sanktionen noch an den UNO-Sanktionen gegen Russland beteiligt.
Jetzt weilt Indiens Aussenminister Subrahmanyam Jaishankar zu Besuch in Moskau – Grund für US-Medien wie die «New York Times» zu spekulieren, ob Indien sich dort als quasi neutrale Friedensvermittlerin im Ukraine-Konflikt empfehlen will.
Spekulationen in US-Zeitungen
«Es ist kein Zufall, dass Indiens Aussenminister Jaishankar gerade jetzt zu Besuch in Moskau ist», sagt Raja Mohan, einer der führenden indischen Aussenpolitik-Analysten. «Der Besuch ist lange geplant.»
Indien sei in einer guten Ausgangsposition, um als Friedensstifterin im Ukraine-Krieg aufzutreten, wenn der richtige Moment gekommen sei, meint der Experte vom Asia Society Policy Institute in Neu-Delhi.
Indiens Aussenminister blieb in Moskau unverbindlich: «Indien unterstützt eine Rückkehr zu Dialog und Diplomatie», sagte er nach dem Gespräch mit seinem russischen Amtskollegen Sergej Lawrow. Indien sei auf der Seite des Friedens.
Russland liefert Waffen nach Indien
Ob Indien schon bald als direkte Vermittlerin auftreten wird, als neutrale Drittmacht sozusagen, mag Analyst Mohan nicht bestätigen. Denn als neutral würde er Indien nicht bezeichnen. Schliesslich kritisiere Indien Russland zumindest indirekt.
Eine direkte Kritik an Russland hat die Regierung von Premierminister Narendra Modi bislang allerdings vermieden. Der indische Aussenpolitik-Experte erklärt das damit, dass Russland Indiens wichtigster Waffenlieferant sei. Und vor allem ein sehr wichtiger Öllieferant.
Trotzdem seien auch die Beziehungen Indiens zu den USA, dem wichtigsten westlichen Partner der Ukraine, noch nie so eng gewesen wie jetzt, sagt Mohan. Mehr als viereinhalb Millionen Inderinnen und Inder lebten in den USA, und auch strategisch seien beide Länder enger zusammengerückt – im Abwehrkampf gegen China.
USA sind Indiens wichtigster Partner
Die USA seien wahrscheinlich Indiens wichtigster Partner. Aber Indien könne seine alte militärische Abhängigkeit von Russland nicht einfach abstreifen.
Indien als Land zwischen Russland und dem Westen: Das hat Tradition. In den 1950er- und 1960er-Jahren führte der Subkontinent die Gruppe der blockfreien Länder an, die im Kalten Krieg einen dritten Weg suchten. Auch im Ukraine-Krieg könnte sich Indien mit dieser Haltung als Friedensvermittlerin empfehlen.
Ob die Ukraine Indien in dieser Rolle akzeptiert, ist eine andere Frage. Noch im Juli hatte Präsident Wolodimir Selenski ein stilles Vermittlungsangebot Indiens abgelehnt. Für die Ukraine ist nur schwer zu schlucken, dass ein Land, das enge Wirtschaftsbeziehungen zu Russland pflegt, als Friedensstifterin im Krieg auftreten könnte.