Die ukrainische Ortschaft Ochtyrka liegt gerade einmal 45 Kilometer von der russischen Grenze entfernt. Bis nach Kiew ist der Weg zehnmal so lang. Diese geografische Nähe zu Russland wurde dem Ort zum Verhängnis. Bereits in den ersten Kriegstagen geriet Ochtyrka unter heftigen Beschuss. Das Heizwerk der Stadt wurde mehrmals angegriffen.
Russische Bomben zerstören Heizkraftwerk
Am 3. März warf die russische Armee Fliegerbomben über dem Heizkraftwerk ab und zerstörte dieses fast vollständig. Dabei wurden fünf Mitarbeiter getötet. «Zwei haben wir beerdigen können. Doch drei Mitarbeiter haben wir bis heute nicht finden können. Ein Gericht bereitet nun einen Beschluss vor, um sie offiziell als vermisst anzuerkennen», erzählt der Direktor Grigori Jurko, während er neben der Gedenktafel für seine verstorbenen Mitarbeiter steht.
Der Heizwerkdirektor ist sichtlich angespannt. Vier der fünf Boiler des Heizkraftwerkes lassen sich nicht reparieren, zu gross ist der Schaden durch die Angriffe der russischen Armee. Seit Monaten versucht Jurko die verbliebene Infrastruktur vor Ort betriebsbereit zu halten.
Der einzige verbliebene Boiler sollte rechtzeitig zum Wintereinbruch bereit sein. Doch das Werk bräuchte dringend einen zweiten. «Anfang Oktober hätte dieser geliefert werden sollen. Er ist bis heute nicht gekommen», klagt Jurko. «Wir schliessen die Netzpumpen mit unseren eigenen Kräften an.»
Für die Reparatur des Heizkraftwerkes wurden umgerechnet 2.3 Millionen Schweizer Franken auf nationaler Ebene gesprochen. Doch beim Heizwerk kam das Geld nie vollständig an, erzählt der Direktor. Das bestätigt auch der Bürgermeister.
Die Folgen des verzögerten Wiederaufbaus sind verheerend. Wenige Tage vor dem Wintereinbruch ist unklar, ob das Heizwerk rechtzeitig in Betrieb genommen werden kann: «Andernorts in der Ukraine mag es anders sein, aber in Ochtyrka wird es ein kalter Winter», sagt Jurko in seinem Büro.
Klimaanlagen für Neugeborene
Das Heizwerk versorgt mehr als 16‘000 Menschen mit Wärme. Auch das Spital im Ort ist am zentralisierten Heizsystem angeschlossen. Angesichts der düsteren Aussichten hat man hier nach Alternativen gesucht. Eine Hilfsorganisation lässt derzeit an der Fassade des Spitals Klimaanlagen montieren.
Damit soll die Geburtenabteilung beheizt werden. Betrieben werden die Klimaanlagen von einem mit Diesel betriebenen Generatoren, der auf dem Gelände des Spitals steht.
Ein Ort mit Wärme
Finanziert wurde die Anlage von privaten ukrainischen Geldgebern. Der Chefarzt erzählt: «Wegen der nicht stabilen Energieversorgung im Land haben wir diesem privaten Hilfsprojekt zugestimmt. Damit die Kinder wenigstens in Wärme geboren werden, angesichts unserer schwierigen Situation.»
Dies sei besonders wichtig, da die Mütter eine Schwangerschaft unter enormen Stresszuständen hinter sich hätten. Dieser Stress sei auch nicht spurlos an den Kindern vorbeigezogen. Zurzeit bietet das Spital 17 beheizbare Plätze für Mütter und ihre Kinder an.
Eine Mehrheit der Bewohnerinnen und Bewohner erwartet jedoch der kälteste Winter in der jüngeren Geschichte der Ukraine. Wenn das Heizwerk nicht in Betrieb genommen werden kann, bleibt nur die Evakuierung der Einwohner. Der Ort ist nicht nur besonders schwer vom Krieg betroffen, sondern liegt ausgerechnet auch noch in der Gegend mit den niedrigsten Durchschnittstemperaturen landesweit.