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Angriff auf Odessa: Der nächste Akt im russischen Verwirrspiel
Aus Echo der Zeit vom 25.07.2022. Bild: Keystone
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Krieg in der Ukraine Russlands Lügen haben System

Russland sendet im Konflikt mit der Ukraine diffuse Signale. Am Freitag unterschrieb die russische Regierung in Istanbul ein Abkommen, das es der Ukraine ermöglicht, ihr Getreide in die Welt zu liefern. Die Blockade im Schwarzen Meer werde aufgegeben, so das russische Versprechen.

Weniger als 24 Stunden später schlugen an der ukrainischen Schwarzmeer-Küste russische Raketen ein, im Hafen von Odessa – sodass die Welt den Wert der Einigung von Istanbul gleich wieder infrage stellte.

Hunger als Mittel der Erpressung

Der russische Angriff auf den Hafen von Odessa ist ein Schlag mitten ins Gesicht. Ins Gesicht all jener, die sich um das Abkommen bemüht hatten. Ins Gesicht von UNO-Generalsekretär António Guterres. Ins Gesicht des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan, der sich noch am Samstag als erfolgreicher Vermittler feiern liess.

Und es ist ein Signal an die Millionen Menschen, die auf das ukrainische Getreide angewiesen sind: Ihr seid uns egal. Wenn es unseren Zielen dient, dann lassen wir euch verhungern.

Dabei sollte eigentlich klar sein, dass der Kreml Getreide – genau wie Gas – als Mittel der Erpressung einsetzt. Er will damit wohl erreichen, dass Sanktionen gelockert werden und die Militärhilfe an die Ukraine aufhört. Dass der Westen also einknickt. Und wenn das nicht gelingt, erhöht der Kreml den Einsatz.

Groteske Lügen und Widersprüche

Das Hin und Her, die vermeintlichen Zugeständnisse, die Hoffnung wecken, auf die dann aber ein Rückzieher oder erneute Angriffe folgen – das hat System. Parallelen zu den humanitären Korridoren, die dann doch nicht gewährt oder sogar angegriffen wurden, drängen sich auf. Das Ziel ist, maximale Angst und maximale Verunsicherung zu erzeugen.

Dass die russische Regierung nicht daran interessiert ist, dass die Ukraine Getreide exportieren kann, zeigen die Angriffe auf ukrainische Lagerhallen und Silos in den letzten Wochen. Ukrainische Felder werden angezündet oder geplündert. Gleichzeitig hortet Russland Weizen, um den Preis in die Höhe zu treiben, wie etwa EU-Kommissionspräsidentin Ursula von Leyen vermutet. Danach kann Russland das Getreide mit noch mehr Gewinn exportieren.

Die Behauptung Russlands, man habe mit dem Angriff auf den Hafen von Odessa ein ukrainisches Kriegsschiff und US-Waffen zerstört, hat ebenso System. Der russische Krieg gegen die Ukraine fusst auf der grotesken Lüge der Denazifizierung des Landes. Am Sonntag sagte der russische Aussenminister Sergej Lawrow, man strebe den Sturz der ukrainischen Regierung an – und widersprach damit eigenen, früheren Aussagen.

Das Vertrauen ist verspielt

Die Zerstörung von Wohnhäusern mit zahlreichen zivilen Opfern wird mit angeblich militärischen Zielen gerechtfertigt. Diese Rechtfertigungen zielen an die Adresse des Heimpublikums. Aber sie säen auch im Ausland Zweifel. Die ganz offensichtlichen Lügen dienen in erster Linie der Einschüchterung. Sie signalisieren, dass Russland seine eigenen, grausamen Regeln macht – und sich über alle anderen Regeln hinwegsetzt.

Das alles sollte man bedenken, wenn man nach Verhandlungen mit Russland ruft. Und vielleicht kommt sogar der Tag, an dem Russland darauf angewiesen wäre, dass man es als ernsthaftes Gegenüber wahrnimmt. Das Vertrauen ist dann aber verspielt.

Judith Huber

Auslandredaktorin

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Auslandredaktorin Judith Huber war jahrelang Produzentin der Sendung «Echo der Zeit» von Schweizer Radio SRF. Sie ist spezialisiert auf die Länder der ehemaligen Sowjetunion und ist Sonderkorrespondentin für die Ukraine.

Echo der Zeit, 25.07.2022, 18 Uhr

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