Allgemein wird erwartet, dass die Ukraine bald eine Offensive gegen die russischen Invasoren starten wird. Doch derzeit wird das Kriegsgeschehen eher durch gegenseitige Drohnen- und Luftangriffe geprägt – möglicherweise als Vorbereitung auf die Offensive, wie SRF-Ukraine-Experte und Auslandredaktor David Nauer beobachtet.
SRF News: Erneut herrschte am Montagmorgen Luftalarm in der Ukraine. Was weiss man über mögliche Schäden durch die russischen Angriffe?
David Nauer: Es kommt darauf an, welchen Landesteil man anschaut. Im ukrainischen Hinterland, auch in der Hauptstadt Kiew, sind die Russen gescheitert.
Im ukrainischen Hinterland haben die Ukrainer fast alle Raketen heruntergeholt.
Dort haben die Ukrainer fast alle Raketen heruntergeholt, dort funktioniert die ukrainische Luftabwehr. In Frontnähe aber gab es diverse Treffer. Das hat auch damit zu tun, dass die Russen dort andere Raketen einsetzen, die schwieriger abzufangen sind.
Die Russen melden die Zerstörung eines grossen Munitionslagers in der Ortschaft Pawlohrad in der Ostukraine. Die ukrainische Seite schweigt dazu. Was ist über den Angriff bekannt?
In den sozialen Medien sind Videos zu sehen, die eine enorme nächtliche Explosion zeigen, da ist tatsächlich etwas Grosses in die Luft geflogen. Die örtlichen Behörden melden mindestens 25 Verletzte. Pro-ukrainische Quellen sagen, es sei ein militärisch unbedeutendes, altes Treibstofflager getroffen worden.
Da ist etwas Grosses in die Luft geflogen.
Zugleich handelt es sich bei Pawlohrad aber um eine strategisch wichtig gelegene Kleinstadt im Osten der Ukraine – ein perfekter Ort, um Waffen und Truppen für eine Offensive zusammenzuziehen. Es ist also durchaus möglich, dass die Russen dort etwas Kriegswichtiges getroffen haben.
Am Wochenende griff die Ukraine auf der Krim ein Treibstofflager an. Ist der Angriff ein Vorzeichen für die erwartete Offensive?
Ja, die Anzeichen verdichten sich. Der Angriff auf die Krim war kein Einzelfall, in den letzten Wochen gab es immer wieder ähnliche Angriffe auf russische Warenlager, Logistikrouten oder Kommandozentralen. Zudem spricht auch der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski inzwischen offen von einer bevorstehenden Offensive. Dabei bleibt völlig unklar, wann sie starten soll.
Das Wetter soll jetzt trockener werden – ein Angriff der Ukrainer ist durchaus bald möglich.
Ein nicht unwesentlicher Faktor spielt dabei offenbar das Wetter: Derzeit sind die Böden in der Ostukraine noch sehr nass und schlammig. Ein Durchkommen mit Militärfahrzeugen und auch mit Panzern ist schwierig. Doch das Wetter soll jetzt besser und trockener werden. Deshalb ist ein Angriff der Ukrainer durchaus bald möglich.
Der Chef der russischen Wagner-Söldner, Jewgeni Prigoschin, spricht von massiven Verlusten beim Kampf um Bachmut und warnt vor einer katastrophalen Entwicklung für die russische Armee. Malt Prigoschin da schwarz?
Prigoschins Darstellung ist tatsächlich sehr düster. Das hat wohl auch damit zu tun, dass er einen Machtkampf mit dem russischen Verteidigungsministerium ausficht, deshalb redet er die Armee schlecht. Doch auch unabhängige Experten sprechen von grossen Problemen der russischen Armee. Die Verluste seien immens, deshalb könne praktisch nur noch altes Material eingesetzt werden.
Prigoschin ficht einen Machtkampf mit dem russischen Verteidigungsministerium aus.
Es gibt jedoch auch Berichte über Probleme der ukrainischen Armee, dass ihr Munition und Waffen fehlten für die Offensive. Die Wahrheit ist: Solche Fragen kann man im Voraus nicht beantworten, wir wissen schlicht nicht, welche Seite in den nächsten Monaten über mehr Kampfkraft verfügt.
Das Gespräch führte Daniel Hofer.