Olaf Scholz wurde wochenlang Zögern und Zaudern bei den Waffenlieferungen in die Ukraine vorgeworfen. Jetzt soll die Ukraine weitere schwere Waffen erhalten: Der deutsche Bundeskanzler versprach der Ukraine ein modernes Flugabwehrsystem.
Ausserdem werde den ukrainischen Streitkräften ein modernes Ortungsradar zur Verfügung gestellt, das Artillerie aufklären könne, sagte Scholz im Bundestag. SRF-Korrespondentin Bettina Ramseier erklärt, warum sich Deutschland mit der «Zeitenwende» in seiner Aussen- und Sicherheitspolitik derart schwertut.
SRF News: Wie ist die Ankündigung von Kanzler Scholz einzuordnen?
Bettina Ramseier: Es wirkt auf mich wie der Versuch eines Befreiungsschlages. Scholz steht seit Wochen massiv unter Druck. Einerseits innenpolitisch, denn die Opposition treibt ihn vor sich her. Auch einzelne Mitglieder der eigenen Regierung gehen weiter als er selber. Andererseits steht der deutsche Bundeskanzler auch innerhalb der EU unter Druck. Vor allem aus osteuropäischen Ländern gibt es heftige Vorwürfe. Scholz begehe Wortbruch, verfolge eine Verzögerungstaktik und sei unehrlich, heisst es.
Die Erwartungen an Deutschland als mächtigstes und reichstes Land in der EU sind besonders gross.
Nun wirkt es, als ob Scholz ein klares Zeichen setzen will: «Ich mache mehr hinter den Kulissen als ihr alle zusammen – und ich mache, was von mir erwartet wird», sagte er.
Scholz hat am WEF den «Imperialismus Russlands» angeprangert und noch einmal von der epochalen Zeitenwende Deutschlands gesprochen. Hält Scholz mit dieser neuen Ankündigung jetzt Wort?
Die Zeitenwende hat eigentlich schon vor dieser heutigen Ankündigung stattgefunden, wenn wir mit Deutschland fair sein wollen. Denn man hat sich von einer Sicherheitspolitik abgewendet, wie sie seit dem 2. Weltkrieg gegolten hat. Nämlich: Keine Waffenlieferungen in ein Kriegsgebiet. Und Deutschland hat ja bereits Waffen geliefert. Nun ist es eine Frage der Definition, ob es schwere Waffen oder genug schwere Waffen waren und ob auch Panzer geliefert werden müssen, damit das alles als Zeitenwende gilt. Aber de facto wird seit Wochen geliefert.
De facto liefert Deutschland seit Wochen Waffen.
Grundsätzlich tut sich Deutschland aber schwer mit dieser neuen Rolle. Es ist eine völlige Abkehr von dem, was während Jahrzehnten gegolten hat. Man steckt in einem Dilemma. Man hat sich geschworen: «Nie wieder Krieg» und auch, keine Alleingänge zu unternehmen.
Wenn nun andere in den Krieg ziehen, gibt es einen Widerspruch zum Grundsatz «Nie wieder Krieg». Gleichzeitig sind die Erwartungen an Deutschland als mächtigstes und reichstes Land in der EU besonders gross. Deshalb ist auch die Erwartung da, dass Deutschland vorangehen muss. Dieser Erwartung zu genügen, ist eine schwierige Rolle.
Das Gespräch führte Ivana Pribakovic.