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Krieg in Nord-Syrien Türkei startet Bodenoffensive

  • Türkische Truppen und mit ihnen verbündete syrische Rebellen sind am Abend nach Angaben des Verteidigungsministeriums in Ankara im Nordosten Syriens einmarschiert.
  • Die Bodenoffensive gegen kurdische Kämpfer in der Region habe damit begonnen, hiess es weiter.
  • In den Stunden zuvor hatte die Türkei den Einmarsch mit Luftangriffen und Artilleriebeschuss vorbereitet.

Karte der Region.
Legende: SRF

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan hatte den Start der Operation am Nachmittag per Twitter angekündigt.

Ziel der Operation ist die kurdische YPG-Miliz, die auf syrischer Seite der Grenze ein grosses Gebiet kontrolliert. Die Türkei sieht in ihr einen Ableger der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK und damit eine Terrororganisation. Erdogan schrieb in einem weiteren Tweet: «Unser Ziel ist, den Terrorkorridor, den man an unserer südlichen Grenze aufbauen will, zu zerstören um Frieden und Ruhe in die Region zu bringen.»

Bereits erste Opfer

Am Abend gab es Berichte über erste Opfer. In den ersten Stunden nach Beginn des türkischen Angriffs seien mindestens 15 Menschen getötet und mehr als 40 verletzt worden – darunter auch Zivilisten und Kinder, hiess es von Seiten von Aktivisten vor Ort.

Türkische Pläne für eine «Sicherheitszone»

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Die Türkei will die Kurdenmilizen aus der Grenzregion vertreiben und dort in einer sogenannten «Sicherheitszone» Millionen syrischer Flüchtlinge ansiedeln, die derzeit in der Türkei und Europa leben.

Das Land hat seit Beginn des Bürgerkrieges im Nachbarland Syrien rund 3.6 Millionen Flüchtlinge aufgenommen. Mittlerweile kippt aber die anfangs von vielen gelebte Willkommenskultur, unter anderem wegen der schlechten wirtschaftlichen Lage im Land.

Die Türkei warb in den vergangenen Wochen aggressiv für die Zone – und um Gelder für den Aufbau. EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker erteilte dem Anliegen eine Absage: «Erwarten Sie nicht, dass die Europäische Union dafür irgendetwas zahlen wird.» Er droht damit indirekt auch mit einem Stopp der EU-Zahlungen, die die Türkei derzeit für aufgenommene syrische Flüchtlinge erhält.

Die Türkei war zuvor schon zweimal auf syrisches Gebiet vorgerückt, beide Male aber westlich des Flusses Euphrat. Im Jahr 2016 hatte sie mit der Offensive «Schutzschild Euphrat» in der Umgebung des syrischen Orts Dscharabulus den IS von der Grenze vertrieben, aber auch die YPG bekämpft.

Anfang 2018 hatten von der türkischen Armee unterstützte Rebellen in einer Offensive gegen die YPG die kurdisch geprägte Grenzregion Afrin eingenommen. Bis heute kontrolliert die türkische Armee dort gemeinsam mit verbündeten syrischen Rebellen ein Gebiet.

Gemäss türkischem Verteidigungsministerium sind 181 Ziele der Kurdenmiliz YPG aus der Luft und mit Artillerie angegriffen worden.

Einwohner flüchten aus dem Kampfgebiet

Beobachter sprechen von grosser Nervosität im Grenzgebiet. «Alle hier haben grosse Angst», sagt der Menschenrechtsaktivist Husam Al Kass via Skype. «Einige sind schon heute in Richtung Irak geflüchtet. Andere haben die Stadt verlassen und sind in Dörfern. Die meisten warten aber noch ab, was passiert. Während der letzten Jahre war es hier stabil. Es gab kleine Plündereien, keine Angriffe. Es war relativ ruhig im Vergleich zum restlichen Syrien. Das wird sich nun ändern.»

Viele Regierungen und internationale Institutionen drangen scharf auf einen sofortigen Stopp der Offensive. Auch die EU-Staaten haben die Türkei in einer gemeinsamen Erklärung zum Abbruch der Militäroffensive aufgefordert.

Schweiz fordert Ende der Kampfhandlungen

«Erneute bewaffnete Auseinandersetzungen im Nordosten werden die Stabilität in der ganzen Region weiter untergraben, das Leiden der Zivilisten verschlimmern und zusätzliche Vertreibungen provozieren», heisst es in dem am Abend veröffentlichten Text der EU-Staaten. Die Türkei gefährde zudem die Erfolge der internationalen Koalition gegen die Terrormiliz Islamischer Staat.

Die Schweiz zeigte sich ebenfalls besorgt über die militärischen Kampfhandlungen im Nordosten Syriens. Eine weitere Eskalation hätte schwerwiegende Folgen für die bereits notleidende Zivilbevölkerung und könnte die Situation in Syrien und der Region weiter destabilisieren, heisst es in einer Mitteilung des Aussendepartements.

Trump macht Kehrtwende

Nachdem US-Präsident Donald Trump auch aus eigenen Reihen schwere Kritik hatte einstecken müssen für den US-Truppenabzug aus der Region, vollzog er eine Kehrtwende. Er drohte mit schweren Konsequenzen für türkischen Wirtschaft, sollte die Türkei die Kurden angreifen.

Trumps historischer Vergleich

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Donald Trump spricht in ein Mikrofon
Legende: Keystone
  • Mit einem historischen Vergleich hat US-Präsident Donald Trump den Abzug von US-Soldaten aus Nordsyrien verteidigt.
  • Die jetzt von einer türkischen Militäroffensive betroffenen Kurden hätten die USA schliesslich auch nicht im Zweiten Weltkrieg unterstützt.
  • «Sie haben uns nicht im Zweiten Weltkrieg geholfen, sie haben uns beispielsweise nicht mit der Normandie geholfen», sagte Trump am Mittwoch in Washington. Die Kurden würden vielmehr für «ihr Land» kämpfen.

Senatoren im US-Kongress bereiteten unterdessen eine parteiübergreifende Resolution für Sanktionen gegen die Türkei vor. Der republikanische Senator Lindsey Graham schrieb auf Twitter, er werde die Bemühungen im Kongress anführen, den türkischen Präsidenten Erdogan «einen hohen Preis» zahlen zu lassen.

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