SRF News: Muss man damit rechnen, dass es im Syrienkonflikt zu Luftkämpfen zwischen Russen und Amerikanern kommen könnte?
Fredy Gsteiger: Ich denke, das ist nach wie vor unwahrscheinlich. Beide Seiten wollen das verhindern. Es wäre zu opferreich, auch der Ausgang solcher Luftkämpfe wäre zu ungewiss. Ein einziges Kampfflugzeug kostet 150 bis 200 Millionen Dollar. Gefährlich ist vor allem die Tatsache, dass die Russen nun damit drohen, die minimale Koordination, die so genannte Hotline zu kappen. Wenn diese Koordination gekappt wird, ist das Risiko gross, dass vielleicht aus kleinen Anlässen, vielleicht auch aus Anlass von irrtümlichen Beschiessungen, grosse militärische Konfrontationen entstehen.
Gefährlich ist vor allem die Tatsache, dass die Russen nun damit drohen, die so genannte Hotline, die vor gut zwei Jahren ausgehandelt wurde, zu kappen.
Im syrischen Luftraum sind sehr viele Luftwaffen von sehr vielen Ländern im Moment im Einsatz. Und das allein ist schon sehr gefährlich. Ich halte für glaubwürdig, dass die USA das Flugzeug abgeschossen haben, um ihre Verbündeten zu schützen. Denn der syrische Kampfjet – nach allem, was man weiss – bombardierte einen Ort, an dem sich von den USA unterstützte Rebellen befanden. Diese Rebellen kämpfen im Moment um Rakka. Es sind sozusagen die Bodentruppen gegen den IS.
Beobachter sagen, es gehe bereits um die künftige Aufteilung jener Gebiete, welche die Terrormiliz IS räumen muss. Teilen Sie diese Einschätzung?
Das ist sehr wahrscheinlich. Denn in den Strategien von Militärs, aber auch in der politischen Planung geht man vom Fall von Rakka in Syrien und von Mossul im Irak, also von den beiden Hochburgen des IS, aus. Man plant bereits die Zeit danach. Und da gibt es ganz klare Interessen. Das syrische Regime fühlt sich durch den Sieg in Aleppo gestärkt und möchte nun plötzlich wieder ganz Syrien zurückerobern. Das ist ein Ziel, das es zwischenzeitlich aufgegeben hatte. Die Iraner, die sehr aktiv sind, möchten eine Landbrücke vom Iran bis zum Mittelmeer etablieren. Sie wollen langfristig einen Korridor vom Iran über den Irak über Syrien bis Libanon kontrollieren. Die Amerikaner wollen genau das verhindern, weil das den Iran weiter stärken würde.
Die Iraner möchten eine Landbrücke vom Iran bis zum Mittelmeer etablieren
Im Juli sind in Kasachstan weitere Friedensgespräche für Syrien angesetzt. Welchen Einfluss haben die steigenden Spannungen für den diplomatischen Friedensprozess?
Der war ja bisher schon weitgehend erfolglos. Er wird nun noch zusätzlich erschwert, weil es zwei solche Friedensprozesse gibt. Sie ergänzen sich nicht, sondern konkurrenzieren sich immer offenkundiger. Zum einen gibt es den Friedensprozess in Kasachstan, unter der Führung von Russland und Iran. Dort ist der Westen nicht dabei. Praktisch zeitgleich soll nun in Genf unter der Leitung der UNO wieder verhandelt werden. Dort wird unter Einschluss des Westens, der Golfstaaten und der USA verhandelt. Zwei Friedenspläne machen die Dinge erst richtig kompliziert.
Das Gespräch führte Brigitte Kramer.