Hier hat alles begonnen. Wir stehen am Eingang zur Altstadt von Daraa. Hier war die Keimzelle des Widerstandes gegen Syriens Machthaber Bashar al-Assad, hier begannen die Demonstrationen, die zum Aufstand wurden und am Ende zum Bürgerkrieg.
Heute hat Assad die Stadt wieder fest im Griff. Sein Bild prangt überall, es ist, als könne man sich seinem Blick nirgends entziehen. Doch was ist das für ein Ort! Die Altstadt von Daraa ist eine einzige Ruinenlandschaft. Assad hat sein Land nicht nur zurückerobert: Als Präsident ist er hauptverantwortlich dafür, wie es zurückerobert wurde.
Hier waren wir den Bewaffneten am nächsten.
Der Bürgermeister von Daraa begleitet uns. Amin el-Omar weist in die verschiedenen Richtungen, die von dem Platz ausgehen. «Diese Strasse führt direkt ins Zentrum der Altstadt. Hier war die Frontlinie, hier waren wir den Bewaffneten am nächsten. Ihr Hauptquartier war östlich dort drüben, das da ist die Strasse nach al-Sed. Und dort hinten ist das Zentrum der Altstadt.»
Die Trauer des Bürgermeisters
Heute ist hier keinerlei Leben mehr auszumachen. El-Omar führt uns näher an die Ruinen heran: «Das waren einmal lauter Läden. Darüber die Wohnungen, in denen die Menschen gelebt haben, und weitere Läden. Jetzt ist alles komplett zerstört. Komplett zerstört...»
Daraa ist der Ort, der alles erzählt über den Zustand von Syrien. Und selten haben wir auf unseren Reisen auf dieser Seite des Konflikts – auf dem Gebiet von Präsident Assad – einen syrischen Offiziellen getroffen, der so nachdenklich, ja traurig war, wie der Bürgermeister von Daraa.
Das Leben kehrt langsam zurück
Bürgermeister Amin el-Omar tut der Anblick seiner zerstörten Stadt sichtlich weh: «Nach sieben Jahren Krieg und Zerstörung brauchen wir vor allem einmal Zeit. Veränderungen brauchen mehr als einen Tag. Wir versuchen, mit den Menschen zu diskutieren, und schauen genau, was wir wie wieder aufbauen. Aber es braucht Zeit.»
Während die Altstadt von Daraa komplett zerstört ist, kehrt in den neueren Stadtteilen das Leben langsam zurück. Hier ist die Zerstörung deutlich geringer, hier können die Menschen wieder leben.
An einer Strassenecke steht der kleine Stand von Firas Habib. Firas Habib verkauft Früchte und Gemüse. «Momentan ist die Zeit für Äpfel, Orangen und Granatäpfel. Die Saison für Feigen und Trauben ist langsam vorbei. Äpfel und Orangen sind jetzt besonders gut.» Ob es sich die Leute leisten können, wollen wir wissen. «Ja, wir verkaufen nicht schlecht. Die Menschen kommen langsam zurück, es wird wieder besser.» Mehr mag Habib nicht sagen. Die Ohren der Geheimdienste sind überall.
Im Zentrum der Macht
Wir spüren es in jedem Gespräch hier: Die Menschen sagen lieber nichts, als etwas Falsches. Eine Frau, die gerade vorbeigeht, bleibt nur kurz stehen. «Wir Syrer sind erschöpft. Aber langsam wird es besser. Gott sei Dank. Und die Situation wird sich hoffentlich noch weiter verbessern. Gott segne unseren Präsidenten und schütze ihn.» Nach sieben Jahren Krieg hat der Präsident, hat Bashar al-Assad, sein Land und seine Untertanen wieder fest im Griff.
Wir werden in eines der Zentren von Assads Macht geführt: zur syrischen Armee. Der Kommandant des 15. Bataillons persönlich empfängt uns. Brigadegeneral Mohammed Maarouf hat sein Hauptquartier im früheren Fussballstadion von Daraa aufgeschlagen.
Unsere Gegner wollten keine Revolution, sie wollten Syrien systematisch zerstören.
Durch die ehemaligen Kabinengänge führt er uns zu einer Art Lage-Raum. Vor einer grossen Landkarte bleibt General Maarouf stehen: «Das hier ist die Altstadt von Daraa. Die Leute dort hatten sich den bewaffneten Gruppierungen angeschlossen. Das da ist die Neustadt von Daraa. In der Neustadt stehen 90 Prozent der Bevölkerung hinter der Armee, und 10 Prozent hinter den bewaffneten Gruppierungen. In der Altstadt hingegen unterstützten 60 Prozent die syrische Armee, und 40 Prozent die Terroristen.» Heute sorgen die Staatsorgane dafür, dass die Syrer wieder geschlossen hinter ihrem Präsidenten stehen.
Auftrag nicht erfüllt
Von den unschuldigen Zivilisten, die bei der sogenannten Befreiung getötet wurden, spricht weder der Brigadegeneral, noch der Gouverneur von Daraa. Ein Offizier begleitet uns zum Gouverneur. Mohammed Al-Hanuss sitzt hinter einem gewaltigen Schreibtisch. Assad hatte ihn im Frühjahr 2011 in den ersten Tagen der Unruhen eingesetzt, um den Protesten zu begegnen. Genützt hatte es nichts.
Auf unsere Fragen geht Al-Hanuss gar nicht erst ein. «Jede Revolution zerstört Leben heisst es. Aber unsere Gegner wollten keine Revolution, sie wollten Syrien systematisch zerstören und es in Provinzen eines Gottesstaates umwandeln. Alles haben sie zerstört, mit dem Ziel, Syrien zu zerstören. Aber wir sind am Gewinnen, und sie werden die Schlacht verlieren, so Gott will», sagt Al-Hanuss.
Daraa ist tatsächlich der Ort, welcher alles erzählt über den Zustand von Syrien. Dass dieser Krieg so unerbittlich wurde, hat auch mit dieser Unversöhnlichkeit zu tun, welche nicht nur auf Seiten der Machthaber zu finden ist.
Solange sich dies nicht ändert, dürfte es in Syrien zwar einen Gewinner, aber nie Frieden geben.