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«Die Lage ist unglaublich schlimm»
Aus Echo der Zeit vom 23.03.2018. Bild: Imago
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Kriege, Terror, Hunger Der Kampf des David Beasley

Für den Chef des Welternährungsprogramms (WFP) ist sein Job ein «Himmelfahrtskommando». Ein Porträt eines Unbeirrbaren.

Als David Beasley den Anruf bekam mit der Frage, ob er Chef der UNO-Organisation mit dem grössten Budget werden wolle, hätte er beinahe gesagt: Niemals, vergesst es! Dieser Posten ist ein Himmelfahrtskommando.

In einem Moment, da die Welt die schwerste humanitäre Krise seit dem Zweiten Weltkrieg erlebt. Und ausgerechnet jetzt, da Donald Trump drohte, die USA, der mit grossem Abstand wichtigste Beitragszahler des WFP, werde die Hilfe im Ausland kappen. Und allen klar war: Von der UNO hält Trump ohnehin wenig.

Eine reiche Welt, in der Menschen hungern

Beasley ist selber Republikaner, war Gouverneur von South Carolina und machte sich dort als Hurrikan-Krisenmanager einen Namen. Dank seiner Kontakte in Washington fand er heraus: «Republikaner und Demokraten mögen sich in der US-Hauptstadt über alles streiten, sogar darüber, ob es draussen regnet oder die Sonne scheint. Aber wenigstens in einem Punkt ist man sich weiterhin einig – es darf nicht sein, dass in einer Welt, die reicher ist als jemals zuvor, auch nur ein einziger Mensch Hunger leidet», sagt er im Gespräch mit SRF.

Also nahm er den UNO-Spitzenposten an. Und erreichte, dass die USA 2017 ihre Unterstützung für das Welternährungsprogramm sogar kräftig anhoben. Das ist auch dringend nötig. Der 61-jährige Ex-Politiker hat in den ersten Monaten im Amt bereits 36 Länder besucht, in denen das WFP tätig ist.

Mein Ziel ist es, meine Organisation überflüssig zu machen, weil niemand auf der Welt mehr Hunger leidet.
Autor: David Beasley Chef des UNO-Welternährungsprogramms

Die Situation sei vielerorts katastrophal, berichtet er: «Man kann sich kaum vorstellen, wie schlimm sie ist.» Von Syrien über Jemen bis Nordostnigeria, von Somalia über Zentralafrika bis zum Südsudan sind Millionen von Menschen unterernährt.

David Beasley wirkt nicht, wie jemand, der sich leicht aus der Ruhe bringen lässt. Er spricht im sanften Südstaaten-Sound, wirkt optimistisch. Doch wenn er von seinen Erlebnissen in Krisengebieten erzählt, stockt mitunter seine Stimme, spricht er auf einmal ganz leise.

Beasley in Havanna.
Legende: David Beasley ist seit knapp einem Jahr Generaldirektor des World Food Programme (WFP). Reuters

Hungerzahlen und Bugdet steigen

Die Zahl der Menschen, die vom WFP abhängen, erhöhte sich in kurzer Zeit weltweit von 80 auf 124 Millionen im Jahr 2017. Das Budget des Welternährungsprogramms stieg auf fast sechs Milliarden Franken, die Mitarbeiterzahl auf rund 15'000. «Darauf kann ich nicht stolz sein», sagt Beasley: «Mein Ziel ist es eigentlich, meine Organisation überflüssig zu machen, weil niemand auf der Welt mehr Hunger leidet.»

Gerade in Syrien wird der Hunger auch als Waffe eingesetzt.
Autor: David Beasley Chef des UNO-Welternährungsprogramms

Davon kann vorläufig keine Rede sein. Erstmals seit Jahrzehnten haben wieder mehr Menschen zu wenig zu essen. Doch weil die UNO-Nothilfeaufrufe weniger Geld einbringen als nötig wäre, können mancherorts, etwa im Jemen oder in Syrien, gar nicht alle Bedürftigen versorgt werden. Beasley kann oft nur der Hälfte der Notleidenden volle Rationen verteilen lassen, vor allem Kindern und schwangeren Frauen. Die anderen kriegen nur halbe Rationen.

«Und gerade in Syrien», erzählt er, «wird der Hunger auch als Waffe eingesetzt. Die Regierung, zum Teil aber auch Rebellengruppen errichten Blockaderinge um ganze Städte oder Regionen, so dass dorthin keinerlei humanitäre Hilfe mehr gelangt.» Es braucht oft mühsame Verhandlungen für jeden einzelnen Hilfskonvoi. Oft scheitern sie. Und nicht immer ist eine Belieferung über Abwürfe aus der Luft möglich.

Weniger Hungernde – weniger Migranten

Auf Geberkonferenzen wird häufig weitaus mehr versprochen als dann tatsächlich gehalten wird. Wenn David Beasley Regierungschefs trifft, fragt er sie jedes Mal: «Wollt ihr lieber Billionen zusätzlich in Eure Armeen stecken – oder mit ein paar Milliarden das Welternährungsprogramm finanzieren?»

Seine Organisation, davon ist er überzeugt, habe eine stabilisierende Wirkung. Ein Prozent weniger Hungernde bedeutet zwei Prozent weniger Migranten. Und wenn das WFP fünf bis sechs Millionen Menschen in Syrien ernähren könne, dann kämen diese Menschen nicht als Flüchtlinge nach Europa. «Einen Menschen in Syrien humanitär zu versorgen, kostet umgerechnet fünfzig Rappen am Tag. In Bern aber, so Beasley, rund fünfzig Franken.»

Neulich traf der WFP-Chef eine Frau in Syrien, die ihm sagte, ihr Mann habe sich der Terrormiliz IS angeschlossen. Nicht weil er das wollte, sondern schlicht, weil er sonst für die Familie keine Existenzgrundlage mehr sah. Mehr Hunger bedeutet also für David Beasley mehr Terrorismus. «Die westlichen Länder zeigen sich bereits überfordert mit ein paar Millionen Kriegsflüchtlingen aus Syrien. In der Sahelzone bereiten sich derzeit hunderte von Millionen auf die Reise Richtung Norden vor, weil ihre Existenz zuhause gefährdet ist.»

Weniger Krieg – weniger Hunger

Dabei spielt der Klimawandel, spielen vor allem Dürren eine wichtige Rolle. In noch weit mehr Fällen sind jedoch Hungerkatastrophen von Menschen gemacht. Sie gehen aufs Konto von Kriegen. Wenn es gelänge, diese militärischen Konflikte zu beenden, so Beasley, dann liesse sich auch das Hungerproblem lösen.

Denn im Grunde wäre es lösbar. Die Menschheit hat das beinahe bewiesen. Litten in früheren Jahrhunderten weit mehr als die Hälfte aller Menschen Hunger, zumindest phasenweise, sank dieser Anteil im Lauf der Zeit stark und beständig. Erst jetzt steigt er wieder – wegen politischer Konflikte.

Das Welternährungsprogramm ist die erste Verteidigungslinie gegen den Terrorismus.
Autor: David Beasley Chef des UNO-Welternährungsprogramms

Angesprochen auf die UNO-Agenda 2030, die als zentrales Ziel die Beseitigung des Hungers vorsieht, meint Beasley, der sonst an die Lösbarkeit von Problemen glaubt: «Zurzeit ist das ein Traum. Die aktuelle Mischung aus militärischen Konflikten und Klimawandel schafft in vielen Ländern einen regelrechten Sturm. Chaos, Gewalt, Not, Extremismus, Flüchtlingsströme, …» Doch aufgeben gilt nicht.

Und: Das Welternährungsprogramm sei die erste Verteidigungslinie gegen den Terrorismus, sagt der WFP-Chef. Er hofft, dass zumindest dieses Argument viele Regierungen überzeugt zu helfen. Nicht zuletzt seine eigene in Washington.

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