Aleppo: Vorher – nachher
Am Busbahnhof in Beirut, der Hauptstadt Libanons, stapelt Fadil Koffer. In einer Stunde fährt sein Car ab Richtung Aleppo. Bei einem früheren Besuch, vor drei Jahren, ging die Reise noch zwanzig Stunden. Der Weg führte über eine schmale Verbindung zwischen zwei Rebellengebieten. Manche Busse trugen die Spuren von Einschusslöchern.
«Heute ist die Route sicher», sagt der Chauffeur. Die Reise nach Aleppo dauert nur noch halb so lang. Allerdings, immer noch drei Stunden länger als vor dem Krieg. Ein Gebiet westlich der Strasse nach Aleppo, ist noch unter Kontrolle von dschihadistisch dominierten Rebellengruppen. Aber auch sie sind stark unter Druck. Der Krieg in Syrien ebbt ab, doch er ist noch nicht zu Ende.
Der Alltag kehrt zögerlich zurück
Auch die Checkpoints sind geblieben. Ganz scheinen die Regierungskräfte der Situation noch nicht zu trauen. Und was ist mit den Schikanen? Vor drei Jahren klagten die Busfahrer über Lösegelderpressungen selbst an Checkpoints, die von Regierungstruppen oder verbündeten Milizen betrieben wurden. Fadil lässt sich nicht auf solche Fragen ein. Er freut sich stattdessen für Aleppo, diesen jahrtausendealten Kreuzungspunkt der Zivilisationen.
Die Stadt atme auf seit dem Ende der Kämpfe. Die westliche Hälfte ohnehin. Sie war seit Beginn des Konflikts unter Kontrolle der Regierung geblieben, es ist der modernere, bourgeoisere Teil der Grossstadt. Dort herrscht wieder so etwas wie Alltag. Aber auch in den Osten kehrt Leben zurück, mitten in die Trümmerlandschaft. Zaghaft. Fadil sagt es, andere bestätigen. Im Osten, in der Altstadt und in den ärmeren Vorstädten, hatten sich die Rebellen verschanzt, die meisten Islamisten.
Der Wiederaufbau als Generationenaufgabe
Fadil wohnte einst selbst in diesem Gebiet. Der Extremismus der Aufständischen aber habe ihm von Anfang an Angst gemacht, sagt er. Nun suchen ehemalige Bewohner nach Möglichkeiten für einen Neubeginn. In Aleppo und anderswo. Sie trotzen der Kälte und allen Schwierigkeiten der Versorgung. Doch der Wiederaufbau wird enorme finanzielle Mittel brauchen – und wohl Jahrzehnte dauern.
Für ganz Syrien schätzt die UNO gegen eine Million Rückkehrer im zu Ende gehenden Jahr. Allerdings, die meisten dieser Bewegungen registriert sie innerhalb des Landes. Sie betreffen Menschen, die von einem Ort in Syrien an einen anderen Ort des Landes geflohen waren und nun sehen, was von ihren Häusern, ihrer Existenz noch übrig ist.
Dennoch, auch im Bus aus Beirut seien regelmässig Leute, die in die Heimat zurückkehrten, sagt Chauffeur Fadil. Zerfressen vom Heimweh. Oder, weil die Rückkehr für sie schlicht die am wenigsten schlechte Option ist.
Dem Flüchtlingselend entfliehen
Leute wie Huda. Hier in Libanon erhält sie keine Nahrungsmittelhilfe mehr, die Kredite werden auch für die humanitären Organisationen knapper. Ihr Sohn lebt mit seiner Familie als Flüchtling in Deutschland. Aber er hat kein Geld, um die Mutter im Libanon zu unterstützen und er darf sie auch nicht nachholen nach Europa.
Noch vor Ende Jahr will Huda nach Syrien zurückkehren, nach Damaskus. Der Beschluss steht. Auch dort ist es ruhig. Die Rebellion bis auf ein paar wenige belagerte Vorstädte vertrieben. Doch was sie in Damaskus erwartet, wer ihr dort helfen kann, Huda hat nur eine sehr vage Vorstellung davon.
Man sieht neuerdings da und dort Lücken in den improvisierten Flüchtlingslagern in der libanesischen Bekaaebene, vermutet eine Rückkehr der ehemaligen Bewohner. Die offiziellen Zahlen allerdings legen nahe, dass Syrerinnen und Syrer im Ausland in aller Regel abwarten, bevor sie – wie Huda – eine Rückkehr beschliessen.
Tausende Gründe zur Flucht
Für Libanon etwa ist die Zahl der registrierten Syrienflüchtlinge bisher nicht signifikant unter eine Million gefallen. Manche flohen vor dem Extremismus der Aufständischen, andere vor Warlords, konfessionellen Milizen im Vakuum, das der Krieg hinterliess, viele vor dem Bombardement des Regimes, dessen politischer Repression. Wieder andere flohen aus schierer wirtschaftlicher Not, oder in der vagen Hoffnung auf eine Zukunftsperspektive für sich, für ihre Kinder.
In Europa mag es sie geben. Doch welche Perspektiven hat der kleine Ahmed? Der Halbjährige sitzt im Arm seiner Mutter, der 25-jährigen Mousna, mitten in Bourj el-Barajneh, einem Slum im Süden von Beirut. Die Familie hat nur eine kleine Kammer gefunden. Sie ist dunkel und feucht. Rami, der Vater, arbeitet als Taglöhner, kann die Seinen kaum über Wasser halten, wird beargwöhnt von Einheimischen.
Furcht vor Assads Kerkern
Beide würden lieber heute als morgen nach Syrien zurück. Das aber hiesse für ihn erstmal Gefängnis, als Dienstverweigerer, sagt Rami. Er entzog sich der Rekrutierung in Assads Armee durch Flucht. Und wer nach der Tortur eines syrischen Gefängnisses noch in der Verfassung dafür sei, der werde direkt an die Front geschickt, sagt er.
Viele junge Männer würden schon deswegen nicht nach Syrien zurückkehren, pflichtet der Nachbar bei, auch er ein Syrer. Rami befürchtet gleichzeitig den Zorn seines eigenen Stamms, dafür dass er nicht mitging, als dieser zu Beginn des Kriegs die Waffen erhob gegen das Regime von Assad.
Der Krieg mag enden, das Misstrauen bleibt
Wir stecken fest, sagt seine Frau Musna. Sie wirkt hin und her gerissen, versucht mal ihren Mann zu überzeugen, sich zu stellen. Fürchtet dann mit ihm die Konsequenzen. Rami kommt aus der Gegend von Deir al Sor ganz im Osten von Syrien, nahe der Grenze zu Irak. Wohin niemand zurückkehrte, wo in diesem Sommer im Kampf gegen den IS noch einmal Hunderttausende mehr vertrieben wurden.
Die Schäden sind gewaltig. Und vielleicht geht der Krieg zu Ende. Die Spannungen aber werden bleiben, sagt der Flüchtling. Eine gerechtere Ordnung in Syrien sieht Rami noch eine Generation lang nicht als Realität.