Der Friedensnobelpreis geht dieses Jahr an zwei Personen, die gegen sexuelle Gewalt als Kriegsmethode kämpfen: Dagegen, dass Menschen – in erster Linie Frauen – im Krieg vergewaltigt werden. Geehrt werden vom Nobelpreiskomitee die irakische Jesidin Nadia Murad und der kongolesische Arzt Denis Mukwege.
Die Gynäkologin Monika Hauser gründete im Bosnienkrieg ihre Hilfsorganisation «Medica mondiale», um traumatisierten Frauen und Mädchen zu helfen. Nach Lippenbekenntnissen und Prämierungen fordert sie nun echte Schritte.
SRF News: Seit 25 Jahren setzen auch Sie sich für die Opfer sexueller Gewalt im Krieg und in Krisengebieten ein. Heute wurde dieser Kampf mit dem Friedensnobelpreis geehrt. Was hat sich in der öffentlichen Wahrnehmung in dieser Zeit verändert?
Monika Hauser: Dass überhaupt ein Nobelpreis an zwei Menschen geht, die sich unermüdlich und mutig für dieses Thema einsetzen. Das wäre damals noch undenkbar gewesen. Wir haben es geschafft, dass das Thema nicht mehr von der internationalen Agenda wegzudenken ist. In den 1990er-Jahren haben es auch internationale Menschenrechtsorganisationen weit von sich gewiesen. Zudem haben wir erreicht, dass UNO-Resolutionen verabschiedet wurden. Der politische Wille, wirklich etwas zu verändern und an die Wurzeln des Problems zu gehen, fehlt aber noch immer.
Sie sprechen die Resolution 1820 an, die sexuelle Gewalt im Krieg als Kriegswaffe bezeichnet. Eine solche Resolution reicht also nicht aus?
Gute und richtige Worte sind das eine. Das andere ist, ob Regierungen weltweit das Problem zu einer Priorität erheben. Hier ticken die Uhren immer noch sehr patriarchal. Egal ob in New York, Berlin oder anderen Hauptstädten. Das lässt sich auch daran sehen, dass Frauen nach wie vor nicht an den Verhandlungstischen sitzen. Etwa, wenn wir nach Syrien schauen: Es gibt dort kluge, demokratische Frauen. Sie treffen sich auch regelmässig.
Ich freue mich, dass ich den alternativen Nobelpreis bekommen habe. Dieser steht für einen etwas anderen politischen Geist als der Friedensnobelpreis, den ich als patriarchal empfinde.
Warum holt man diese Frauen nicht an den Verhandlungstisch und lässt wieder die Männer, die Despoten über Frieden entscheiden? Also jene, die für den Krieg verantwortlich sind? Die UNO und Regierungen weltweit sind mit Schuld daran, dass Frauen nicht über die Nachkriegsrealität mitentscheiden dürfen.
Kann der Friedensnobelpreis etwas daran ändern?
Jetzt ist das Thema in aller Munde, die Medien sind voll davon. Ich freue mich auch für alle Aktivistinnen weltweit, die Jahrzehnte für Frauenrechte gekämpft haben und oft nicht sichtbar wurden. Nun sind auch die Medien gefragt, nicht nur an Tagen wie heute darüber zu berichten oder wenn ein sensationelles Ereignis geschieht.
Gewalt an Frauen in Kriegsgebieten muss nachhaltig und als gesamtgesellschaftliches Thema betrachtet werden. Letztendlich ist es ein Männerthema. Aber wo sind die Männer, die darüber reflektieren und die politische Verantwortung übernehmen? Gesellschaftlich ist also noch sehr viel an Bewusstseinsarbeit zu tun.
Zwickt es nicht ein bisschen, wenn jemand mit dem Friedensnobelpreis geehrt wird für etwas, für das Sie sich schon ein halbes Leben lang eingesetzt haben?
Ich freue mich, dass ich den alternativen Nobelpreis bekommen habe. Dieser steht für einen etwas anderen politischen Geist als der Friedensnobelpreis, den ich als patriarchal und zur bestehenden politischen Weltordnung passend empfinde.
Wir müssen ein Bewusstsein dafür schaffen, wie viel Gewalt in unseren sogenannten Friedensgesellschaften herrscht.
Ich möchte, dass wir zu den Ursachen des Problems vorstossen. Ich weiss nicht, ob es politisch mit dem Friedensnobelpreis verbunden ist, über die patriarchalen Ursachen von sexueller Gewalt zu sprechen. Ich freue mich aber für die beiden Prämierten, und ich freue mich für alle Menschen weltweit, die sich schon lange dafür einsetzen. Diese Würdigung muss auch ihnen gelten. So verstehe ich die heutige Preisverleihung.
Sie haben ihr Hilfswerk «Medica mondiale» 1992/1993 unter dem Eindruck der gezielten Massenvergewaltigungen in Bosnien gegründet. Diese Frauen und Mädchen hatten damals keine Stimme. Das war ein Tabu. Inzwischen ist es keines mehr. Wie sieht es aber mit sexueller Gewalt im Krieg gegen Männer aus?
Wir haben mittlerweile weltweite Dokumentationen zu diesem Thema. Wir wissen, dass auch das in jedem Krieg passiert. Für mich ist das eine Bestätigung der patriarchalen Strukturen, dass Männer auch Männer vergewaltigen. In unseren Gesellschaften ist es auch kein neues Thema. Man hat nur nie hingeschaut. Es ist extrem tabuisiert.
Wir müssen ein Bewusstsein dafür schaffen, wie viel Gewalt in unseren sogenannten Friedensgesellschaften herrscht. Das ist die Grundlage dafür, dass die Gewalt in den Kriegen so dramatisch hoch sein kann. Wir brauchen den nächsten Schritt nach #metoo, das sehr hilfreich war. Wir brauchen politische Strukturen, die dem Problem Rechnung tragen. Wir müssen die Gewalt gegen alle verringern, damit die Gesellschaften friedlicher werden können.
Das Gespräch führte Nicoletta Cimmino.