Schweden, Norwegen, Finnland, Dänemark und Island: Nach dem Zweiten Weltkrieg bildeten diese nordischen Staaten eine Art Mini-EU – mit Reisefreiheit und weitreichenden Harmonisierungen. Die EU-Beitritte Dänemarks, Schwedens und Finnlands schwächten zwar das gemeinsame politische Gewicht, aber gesellschaftlich näherten sich die Menschen in Skandinavien an.
Dann kam das Coronavirus – und die Grenzen wurden geschlossen. Das hat auch politische und wirtschaftliche Konsequenzen. Es könnte Jahre dauern, bis das Vertrauen wieder hergestellt sei, sagt Nordeuropa-Mitarbeiter Bruno Kaufmann.
SRF News: Wie zeigt sich das Auseinanderdriften von Skandinavien seit Beginn der Coronakrise?
Bruno Kaufmann: Am deutlichsten sieht man es an den Schlagbäumen entlang der vielen 1000 Kilometer langen Grenzen innerhalb Skandinaviens, die vom Militär bewacht sind. Auch die Rhetorik zwischen den Ländern ist sehr aufgeheizt: Da wird einerseits von übertriebenen Massnahmen gesprochen, andererseits von Verantwortungslosigkeit und Sorglosigkeit.
Schweden war wirtschaftlich und politisch lange die dominante Kraft und galt auch ein bisschen als Vorreiter und Modell für die anderen.
Auf der einen Seite stehen Länder wie Dänemark, Norwegen und Finnland, wo vor allem Politiker Massnahmen beschlossen haben. Auf der anderen Seite Länder wie Island und Schweden, wo Experten der Gesundheitsbehörde das Zepter in der Hand haben.
Welche Rolle hat der Alleingang Schwedens gespielt?
Das ist sicher ein entscheidender Faktor. Schweden galt lange – und ist auch geografisch – der Mittelpunkt Skandinaviens, war wirtschaftlich und politisch lange die dominante Kraft und galt auch ein bisschen als Vorreiter und Modell für die anderen.
Jetzt aber hat man dem grossen Bruder sozusagen die Weisheit aberkannt. Schweden wird von den anderen Nordeuropäern und Nordeuropäerinnen gemieden, die Grenzen sind geschlossen, und solche Töne ist man sich in Stockholm nicht gewohnt.
Lief vor Corona mit der skandinavischen Entente alles gut?
Nein, denn eigentlich sind diese nordischen Länder kulturell sehr verschieden. Dies insbesondere durch den Zweiten Weltkrieg, der sehr verschieden erlebt wurde: Etwa in Norwegen und in Dänemark, die von Deutschland besetzt waren und heute in der Nato sind, und dann Finnland, das im Krieg mit der Sowjetunion stand. Schweden war als neutrales Land nicht direkt betroffen. Das hat dazu geführt, dass diese Länder in Krisenzeiten wie jetzt, verschieden reagieren und sich auch anders organisieren.
Gibt es Bestrebungen, die Risse wieder zu kitten?
Ja, es gibt viele Appelle für die nordische Zusammenarbeit, gerade in diesen Wochen und Monaten, weil ja die nordischen Länder letztlich mehr verbindet, als sie trennt.
Jetzt sind alle gefordert, die Skandinavien wieder zu einem starken Skandinavien machen möchten.
Sie sind alle erfolgreiche, moderne Wohlfahrtsstaaten, in denen die Chancengleichheit und ein progressives Gesellschaftsmodell der gemeinsame Nenner sind. Und deshalb möchte man nach dieser Krise wieder zu einer offeneren, gemeinsamen nordischen Zusammenarbeit zurückkehren. Es muss sich aber zeigen – und das wird sicher einige Jahre dauern – ob man das Vertrauen in die Behörden und die Politik wieder zurückgewinnt. Deshalb sind jetzt alle gefordert, die Skandinavien wieder zu einem starken Skandinavien machen möchten.
Das Gespräch führte Beat Soltermann.