In einem Facebookeintrag sympatisiert der bis Ende Juni in Bern stationierte Diplomat Pawel Mazukewitsch mit den Demonstrierenden in Weissrussland und kritisiert Präsident Alexander Lukaschenko scharf. Er fühle sich verraten. Sein Post endet mit: «Lukaschenko muss weg!»
SRF News: Was sind Ihre Gründe für Ihren Post auf Facebook?
Pawel Mazukewitsch: Es ist eine moralische Entscheidung. Die Situation ist für mich nicht akzeptabel. Ich sehe viele Gefahren – geopolitsche oder wirtschaftliche. Und das Staatsoberhaupt hat klar gezeigt, dass es seine Macht mit allen Mitteln bewahren wird.
Sie haben auch geschrieben, dass Lukaschenko zu einer Bedrohung für die Sicherheit des Landes geworden sei. Worin sehen Sie diese Bedrohung?
Sie sehen ja, was in den Strassen von Minsk passiert. Eine Wahl fand statt, deren Ergebnis die Mehrheit der Bevölkerung offensichtlich nicht akzeptiert hat. Das hätte ein Signal für die Staatsmacht sein sollen, das Amt niederzulegen. Aber das passiert nicht. Mehr noch, die Staatsmacht droht an, Hilfe von einem anderen Land zu holen. Das ist aus meiner Sicht eine direkte Bedrohung für unsere Souveränität. Ich schäme mich für das, was in Minsk derzeit passiert. Auch gegenüber vielen Bekannten in der Schweiz.
Können Sie beschreiben, was die Bilder aus Minsk bei Ihnen ausgelöst haben?
Wir waren immer stolz darauf, dass Weissrussland ein friedliches Land ohne Konflikte war, wo auch innenpolitische Konflikte friedlich gelöst werden. In den Tagen nach den Wahlen hat sich aber gezeigt, dass das Resultat an der Urne nicht dem entsprach, das verkündet wurde.
Wir haben Schritte in Richtung Demokratie und Reformen gemacht in den letzten Jahren – und das verlieren wir jetzt alles, nur weil das Staatsoberhaupt nicht die Entscheidung seines Volkes akzeptieren will.
Wir Diplomaten sind in erster Linie dazu da, die Interessen des Landes zu vertreten – nicht die des Präsidenten.
Sind Sie mit Ihrer Kritik an Alexander Lukaschenko im diplomatischen Dienst in der Mehrheit?
Ich bin überzeugt davon, dass alle Personen, die für Weissrussland im diplomatischen Dienst sind, Patrioten sind. Wir Diplomaten sind in erster Linie dazu da, die Interessen des Landes zu vertreten – nicht die des Präsidenten. Vielleicht haben die anderen mehr Geduld mit Lukaschenko. Da muss man abwarten.
Sie hätten morgen eine neue Stelle beim Aussenministerium antreten sollen. Gehen Sie jetzt trotz allem zur Arbeit?
Ja. Ich will mich weiter für Weissrussland einsetzen. Aber wenn ich vor eine moralische Entscheidung gestellt werde, bin ich auch bereit, zu gehen.
Haben Sie keine Angst, dass Sie zum Gehen gezwungen werden?
Doch, das ist möglich.
Wie wird sich die Situation im Land weiter entwickeln?
Ich sehe keinen einfachen Ausweg. Auch wenn Gewalt gegen sie angewendet wird, sagen die Leute weiterhin ihre Meinung – friedlich. Darauf bin ich stolz.
Jetzt besteht die Gefahr, dass wir abstürzen wie ein Bergsteiger in eine Schlucht.
Könnte die Schweiz etwas tun, damit sich die Lage in Weissrussland verbessert?
Weissrussland muss selber einen Ausweg aus dieser Situation finden. Jede Einmischung eines anderen Landes ist fehl am Platz. Wir haben in den letzten Jahren viel getan, um «die Schweiz Osteuropas» zu sein, wir strebten Neutralität an. Und wir haben Fortschritte gemacht. Wir wurden zum Beispiel als Ort für Friedensverhandlungen akzeptiert. Wir konnten unsere Beziehungen zur Schweiz verbessern, zu anderen westlichen Ländern. Jetzt besteht aber die Gefahr, dass wir abstürzen wie ein Bergsteiger in eine Schlucht.
Ist die Situation auf der Strasse für Sie gefährlich?
Ich weiss, dass ich verwundbar bin. Ich habe gewiss Angst. Aber jetzt zu schweigen, wäre schrecklich.
Das Gespräch führte Luzia Tschirky.