Alles beten hat nichts genützt. In verschiedenen katholischen Kirchgemeinden haben in den letzten Tagen kroatische Nationalisten Messen für die Freilassung von Jadranko Prlic und seiner fünf Mitangeklagten lesen lassen. Auch Kroatiens Präsidentin Kolinda Grabar-Kitarovic warf sich für die Kriegsverbrecher ins Zeug und wünschte einen Freispruch. Das Urteil besagt jetzt aber genau das, was man in Kroatien nicht hören will.
«Herceg-Bosna, der Satellitenstaat, den Kroatien auf dem Boden von Bosnien-Herzegovina eingerichtet hatte, diente zur ethnischen Säuberung und zur Vertreibung der Nicht-Kroaten aus diesem Gebiet. Er sollte später mit Kroatien vereinigt, oder möglichst eng an dieses angebunden werden», sagt Zoran Ivancic. Der Friedensaktivist ist selber Kroate, lebt aber heute in Bosnien. Während des Kriegs arbeitete er unter anderem für Ärzte ohne Grenzen. Die Kriegsverbrechen hat er selbst miterlebt.
Das waren nicht einfach Verbrechen einzelner Soldaten. Sie geschahen im ganzen Gebiet von Herceg-Bosna und es steht ein politischer Entscheid dahinter.
Der tote Präsident
«Das waren nicht einfach Verbrechen einzelner Soldaten. Sie geschahen im ganzen Gebiet von Herceg-Bosna und es steht ein politischer Entscheid der Machthaber von Herceg-Bosna und der Führung Kroatiens dahinter», sagt Ivancic.
Darum wird im heutigen Haager Urteil der Name des damaligen kroatischen Staatspräsidenten Franjo Tudjman namentlich erwähnt. Der inzwischen verstorbene Staatsgründer wird zusammen mit den Verurteilten als Mitglied einer gemeinschaftichen kriminellen Unternehmung bezeichnet.
Ivancic macht auch darauf aufmerksam, dass es beim Zerfall Jugoslawiens eine Absprache gab, zwischen Tudjman und Slobodan Milosevic, dem starken Mann Serbiens. Die beiden wollten sich von Westen und Osten her möglichst grosse Teile des Drei-Völker-Staates Bosnien unter die Nägel reissen. Für die muslimischen Bosniaken sollte kaum etwas übrig bleiben.
Verstecke für Kriegsverbrecher
In den Tagen und Wochen vor dem heutigen Urteil waren die kroatischen Medien voll von Berichten, die diese historischen Fakten in einem anderen Licht darzustellen versuchen und die jetzt verurteilten Kriegsverbrecher als Helden darstellen. Von ihren Opfern war kaum ein Wort zu lesen.
«Dafür gibt es zwei Gründe», sagt der Ivancic. Erstens werde seit langem der Mythos aufgebaut, dass kroatische Kämpfer keine Kriegsverbrechen begehen könnten. Kroatien habe seine Unabhängigkeit in einem Verteidigungskrieg gegen die serbischen Agressoren errungen und dieser Krieg sei sauber gewesen. Sauber wie eine Träne, wie man auf dem Balkan sagt.
Zweitens wolle man verhindern, dass Kroatien als Staat für Kriegsverbrechen in Bosnien verantwortlich gemacht werde und dass ihm damit Schadenersatz-Forderungen drohen könnten. Aus diesen Gründen habe das Land seine Kriegsverbrecher nach dem Krieg auch lange versteckt.
Praljak der Märtyrer
«Man gab ihnen falsche Identitäten und falsche Papiere. Als der Druck von aussen, zu gross wurde, musste Kroatien die Männer zwar nach Den Haag ausliefern, aber es hat ihnen aus Staatgeldern die besten Anwälte bezahlt und Beweismaterial verschwinden lassen», sagt Ivancic.
Er ist skeptisch, dass die kroatische öffentliche Meinung nach dem heutigen Urteil selbstkritischer wird. Eher sei zu erwarten, dass Slobodan Praljak, der sich im Gerichtssaal, nach Urteilsverkündung vergiftet hat, zum Märtyrer gemacht werde. Und es müsse auch damit gerechnet werden, dass viele Kroaten in Bosnien-Herzegowina weiterhin von einem eigenen Teilstaat Herceg-Bosna träumen – und dafür politische Unterstützung aus Kroatien bekommen.