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Trump will aus Abrüstungsvertrag aussteigen
Aus Echo der Zeit vom 21.10.2018. Bild: Keystone
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Kündigung von Nuklear-Abkommen Der Geist ist aus der Flasche

Es waren die beiden Staatschefs Ronald Reagan und Michail Gorbatschow, die 1987 den INF-Vertrag (Intermediate Range Nuclear Forces) unterzeichneten, also den Vertrag über das Verbot von nuklearen Mittelstreckenwaffen.

Er galt als historischer Durchbruch. Denn damit wurde – was äusserst selten geschieht – auf einen Schlag eine ganze Waffengattung aus dem Verkehr genommen. Zwar war damals der Kalte Krieg noch nicht zu Ende. Doch dank dieses Vertrages wurde die Welt und vor allem Europa ein bisschen sicherer.

Weder Russland noch die USA mit weisser Weste

US-Präsident Donald Trump will nun das INF-Abkommen aufkündigen. Der Grund: Russland verletze das Abkommen seit Jahren massiv. Die Klage, Russland halte sich seit Jahren nicht mehr daran, entbehrt durchaus nicht der Grundlage. Harte Beweise fehlen zwar, doch es gibt zahllose Indizien, wonach Russland längst wieder nuklear bestückbare Mittelstreckenraketen mit einer Reichweite von 500 bis 5500 Kilometern entwickelt, baut und testet.

Das sagt nicht erst die Regierung Trump, das sagte zuvor auch die Regierung Obama. Und die Klage kommt nicht aus Washington allein, sondern auch aus Europa, etwa auch von Grossbritannien und kürzlich von Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg. Er erklärte, der INF-Vertrag sei «wegen des russischen Zuwiderhandelns» in Gefahr.

Fraglich scheint einzig noch, ob Russland seine neuen Novator-Raketen bereits stationiert hat, dass sie also in kürzester Zeit einsatzbereit wären. Es gibt allerdings auch Hinweise, dass die USA ebenfalls nach jahrzehntelanger Pause wieder auf nukleare Mittelstreckenraketen setzen. Über eine gänzlich weisse Weste verfügen also auch die USA nicht. Doch kaum jemand zweifelt, dass Russland weit stärker vorwärts machte als die USA.

Diplomatisch und militärisch ungeschickt

Indem Trump jetzt das Abkommen einseitig aufkündigt, stehen nun auf einmal die Vereinigten Staaten als die Hauptschuldigen da. Diplomatisch höchst ungeschickt und völlig unnötig. Militärisch ebenso: Die USA verfügen über mehr als genug militärische, auch nukleare Optionen, um Russland die Stirn zu bieten.

Offiziell geht es Trump und vor allem seinem Sicherheitsberater John Bolton, der die Kündigung vorangetrieben hat und sie am Montag offiziell in Moskau überbringen soll, um Neuverhandlungen: Das INF-Abkommen soll erneuert und gestärkt werden. Gerne sähe man in Washington, wenn sich auch China diesem unterwerfen würde. Denn die Chinesen sind bei nuklearen Mittelstreckenraketen bisher keinen Vorgaben unterworfen. Was aus amerikanischer Sicht und angesichts der Rivalität der beiden Grossmächte im Pazifik für die USA einen gravierenden strategischen Nachteil bedeutet.

Fragt sich nur, ob Russland und China jetzt tatsächlich auf Trumps Powerplay mit Verhandlungsbereitschaft reagieren. Die Wahrscheinlichkeit ist gering. China dürfte kein Interesse haben, sich Fesseln anlegen zu lassen, ohne dafür eine solide Gegenleistung zu bekommen. Russland wiederum dürfte erst recht fortfahren mit dem Wiederaufbau eines nuklearen Mittelstreckenarsenals und in keine Verhandlungen einwilligen.

Der Nutzen von Trumps Schritt ist also absehbar bescheiden, das Risiko hingegen ist beträchtlich. Dies vor dem Hintergrund, dass zurzeit ohnehin vielerorts die Nerven blank liegen, das Verhältnis zwischen den Grossmächten seit Langem schlechter geworden ist und es an gegenseitigem Vertrauen fehlt.

Der atomare Geist ist aus der Flasche.
Autor: Fredy Gsteiger

Weitere Abkommen sind hängig

Dazu kommt, dass zurzeit keinerlei ernsthaften Verhandlungen stattfinden, um das New-START-Abkommen zu verlängern und zu stärken – also jenes Abkommen, das die Zahl der russischen und amerikanischen Langstrecken-Atomwaffen begrenzt. Und das, obschon dieses Abkommen schon bald ausläuft.

Das Abkommen über konventionelle Waffen in Europa (CFE) wiederum ist inzwischen praktisch Makulatur. Und das Abkommen über das Verbot von Atomtests wurde von den USA bis heute nicht ratifiziert.

Kein Vertrauen und mehr Misstrauen

Kurz: Um die Rüstungskontrolle, eine der grossen Errungenschaften der vergangenen Jahrzehnte, steht es schlecht. Und damit bröckeln zugleich die Inspektionsregimes. Die gegenseitige Überwachung wird geschwächt und so schwindet die Transparenz. Niemand weiss mehr genau, was der Gegner im Schild führt und heizt so das Misstrauen weiter an.

Die Gefahr eines neuerlichen nuklearen Rüstungswettlaufs steigt auf einmal wieder. Das Risiko, das irgendwann irgendwo durch irgendwen die verheerendste aller Waffen eingesetzt wird, ist so gross wie lange nicht mehr. Der atomare Geist ist aus der Flasche.

Fredy Gsteiger

Diplomatischer Korrespondent

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Fredy Gsteiger ist diplomatischer Korrespondent und stellvertretender Chefredaktor bei Radio SRF. Vor seiner Radiotätigkeit war er Auslandredaktor beim «St. Galler Tagblatt», Nahost-Redaktor und Paris-Korrespondent der «Zeit» sowie Chefredaktor der «Weltwoche».

Hier finden Sie weitere Artikel von Fredy Gsteiger und Informationen zu seiner Person.

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