Situation der Kurden im Irak
- Kurdische Peschmerga kämpfen seit 2014 gegen den IS. Sie verteidigten die kurdische Autonomiezone im Nordirak erfolgreich vor den heranrückenden Jihadisten.
- Die kurdischen Peschmerga nutzen den Kampf gegne IS, um Gebeite auch ausserhalb der Autonomiezone zu besetzen. Sie betrachten diese Gebiete ebenfalls als kurdisch.
- Diese Gebietserweiterung wollen sie nicht rückgängig machen, trotz Kritik aus Bagdad.
- Die Nachbarländer Iran und Türkei unterstützen die Autonomie der Kurden in Irak, während sie in ihren Ländern keine kurdische Autonomie zulassen.
- Die Kurden im Nordirak streben nach mehr, nach einem unabhgängigen Staat.
Im Coiffeursalon an der Iskanstrasse in Erbil wird an diesem Morgen deutsch gesprochen. Sinan, der Kunde, stammt aus Aachen in Deutschland. Der junge Bauunternehmer glaubt die ersten Vorboten einer wirtschaftlichen Erholung zu erkennen, zum Beispiel bei den Häuserpreisen.«Das merkt man schon, seit ein paar Wochen.» Als er vor vier Jahren zurück in die kurdische Heimat seiner Eltern kam, boomte noch das Öl. Und die Glaspaläste in Erbil schossen in die Höhe.
Ob das autonome Kurdistan schon bald wieder an diese optimistischen Jahre vor dem Sturm der Dschihadisten durch die sunnitische Nachbarschaft anknüpfen kann, beurteilt Mashir, der Coiffeur, jedoch skeptischer als sein Kunde. Er möchte erst mal abwarten.
Eine Dividende aber hätten die letzten zwei Jahre auf jeden Fall gebracht, sagt Sinan. «Sicher, die Kurden haben viel verloren, mit dem Krieg gegen IS. Auf der andern Seite darf man nicht vergessen: Zum ersten Mal kam dieses kleine Volk in die Medien. Wir sind jetzt ein bekanntes und populäres Volk. Die Medien schätzen unsere Kämpfer. Und wir schätzen sie auch.»
Gutes Image der Peschmerga ausnutzen
Die Peschmerga sind die kurdischen Kämpfer, die sich entschlossen den arabischen Extremisten in den Weg stellten. Sie werden in Erbil auf Plakaten gepriesen und im Radio auf der Fahrt durch die Stadt besungen. In der Erbiler Zentrale der Partei KDP möchte Aras Khoshnaw aus dem guten Ruf politisches Kapital schlagen.
Eine so günstige politische Konstellation komme vielleicht nie wieder. Es sei der Moment, die Unabhängigkeit zu proklamieren. «Warum nicht schon nächstes Jahr?» fragt der Erbiler Parteipolitiker.
Schon jetzt weht die kurdische, nicht die irakische Fahne über der Zitadelle der Stadt. Die junge Genration lernt Arabisch nur noch als Fremdsprache. In den Strassen regeln kurdische Polizisten den Verkehr, am Flughafen drücken einem kurdische Grenzbeamten kurdische Stempel in den Pass. Dass es im Kurdengebiet eine Mehrheit für einen eigenen kurdischen Staat gibt, steht ausser Frage.
Iran und die Türkei unterstützen Kurden im Nordirak
Doch das Kurdengebiet hat mächtige Nachbarn. Die Türkei und Iran verhalten sich ambivalent, zuhause unterdrücken sie die Ambitionen der eigenen kurdischen Bevölkerungsteile, hier in Nordirak unterstützen sie die Kurden. «Manchmal muss man etwas wagen. Aber natürlich im Dialog», relativiert Khoshnaw, der Politiker.
Sein Chef, Masaud Barzani, der Präsident der Autonomiezone, spricht in regelmässigen Abständen von einem Referendum über die Unabhängigkeit. Bis jetzt blieb es bei der Ankündigung.
Es gibt zwei grosse, traditionelle Parteien im nordirakischen Kurdengebiet. Sie mögen sich nicht. Aber raufen sich immer wieder zusammen um die Autonomie nicht zu gefährden. Adnan Mufti ist ein Spitzenpolitiker der zweiten Partei, der PUK.
Er war Parlamentspräsident. Und er winkt ab. «Unabhängigkeit ist nicht für sofort, sie ist ein Plan für die Zukunft, steht am Ende eines langen politischen Prozesses», sagt er.
Kurden in einer guten Position
Aber auch Mufti glaubt, dass die Konjunktur für die Kurden in Irak besser geworden ist. Vieles werde neu ausgehandelt werden in der Region. Und die Kurden befänden sich dabei in der Position der Stärke. Zum Beispiel im Kräftemessen um die sogenannt umstrittenen Gebiete.
Völlig ausgeschlossen, dass wir die Gebiete ausserhalb der ehemaligen kurdischen Autonomiezone wieder hergeben
Die Peschmerga kämpften nicht nur entschlossen gegen IS, sie nutzten den Kampf auch, um in Gebiete ausserhalb der Autonomiezone vorzurücken, die die Kurden ebenfalls als kurdisch betrachten. Es geht um Dutzende von Dörfern und Kleinstädtchen. Aber auch um die Grossstadt Kirkuk, das Zentrum der nordirakischen Ölproduktion. «Wir haben die Gebiete mit dem Blut der Peschmerga befreit und vor den Extremisten geschützt.»
«Völlig ausgeschlossen, dass wir sie wieder hergeben», sagt Khoshnaw und dasselbe sagt auch Mufti. In diesem Punkt sind sich die beiden politischen Lager einig. Doch in den umstrittenen Gebieten wohnen nicht nur Kurden, sondern auch Turkmenen, Araber. Die meisten aber seien von Saddam Hussein erst dort angesiedelt worden, argumentierten die Kurden. Der Zentralstaat protestiert. Es kam schon zu Scharmützeln mit schiitischen Milizen.
In Erbil spricht man von Verhandlungen, hofft auf Einsicht eines geschwächten und mit sich selbst beschäftigten Zentralstaats Irak. Doch Khoshnaw sagt im gleichen Atemzug: «Der entscheidende Unterscheid zu früher ist, dass unsere Truppen nun tatsächlich dort stehen.» Das ändert die Grundlage jedes Dialogs.