Zum zweiten und letzten Mal haben die beiden Kandidaten für das Amt des britischen Premierministers gestern Abend die Klingen gekreuzt. Die beiden Männer, Boris Johnson für die Konservativen und Jeremy Corbyn für Labour, standen zwar im selben Fernsehstudio der BBC in Maidenhead in der Grafschaft Kent, aber sie bewegten sich in unterschiedlichen Welten. Sie führen zwei gänzlich verschiedene Wahlkämpfe; am Donnerstag ist Wahltag.
Die Qual der Wahl
Jeremy Corbyn sprach kritisch vom britischen Sozialgefüge, von grassierender Armut und Ungleichheit, und versprach grosszügige Abhilfe, einen hoffnungsvollen Neubeginn. Boris Johnson dagegen sprach ungeachtet der Fragen vom Brexit, den er allein mit einem kühnen Handstreich vollziehen werde. Schamlos setzt Johnson also auf den Überdruss, den das Thema Brexit in der breiten Öffentlichkeit verbreitet.
Wie schon beim ersten Fernsehduell vor fast drei Wochen konnte das Publikum in einer Blitzumfrage keinen Sieger ausmachen, was möglicherweise auch bedeutet, dass beide Kandidaten in gleichem Umfang anziehen und abstossen. Die Stimmbürger, so darf man vermuten, hätten lieber andere Kandidaten für das Premierministeramt. Dieses Dilemma wurde am Freitag noch unterstrichen, als zwei ehemalige Premierminister, Tony Blair und John Major, öffentlich davon abrieten, ihre eigenen Parteien zu wählen.
Taktische Wähler
Die Meinungsumfragen bilden unverändert einen klaren Vorsprung der Konservativen ab, der nur geringfügig geschrumpft ist. Sowohl die Tories als auch Labour haben in den letzten drei Wochen zugelegt – die Konservativen auf Kosten der Brexit-Partei von Nigel Farage, Labour zum Schaden der wenig überzeugenden Liberaldemokraten.
Doch der prozentuale Vorsprung der Konservativen lässt sich unter dem geltenden Majorzwahlrecht nicht automatisch in eine parlamentarische Mehrheit übersetzen. Taktische Wähler in wenigen Dutzend Wahlkreisen werden letztlich darüber entscheiden, ob Boris Johnson die absolute Mehrheit schafft, die er für seinen Brexit braucht.