Im Rennen um die Nachfolge von Jeremy Corbyn sind noch fünf Namen übrig. Aus ihnen werden die Labour-Parteimitglieder bald ihren neuen Chef wählen. Am Parteiprogramm dagegen werde sich bei den britischen Sozialdemokraten wenig ändern, sagt Christos Katsioulis von der Friedrich-Ebert-Stiftung in London.
SRF News: Keir Starmer erhielt am meisten Stimmen von den Labour-Abgeordneten. Ist er schon so gut wie gewählt?
Christos Katsioulis: Nein. Die meisten Stimmen aus der Parlamentsfraktion zu erhalten, bedeutet noch nicht viel. Jeremy Corbyn hatte damals die Hürde im Nominierungsverfahren nur knapp geschafft, wurde vom Parteivolk dann aber zum Chef gewählt. Immerhin scheint es jetzt, dass die Parteimitglieder nach dem disruptiven Corbyn wieder eine Art sichere Hand wollen – und das strahlt Keir Starmer durchaus aus. Trotzdem muss er nun zuerst die Parteimitglieder überzeugen.
Keir Starmer stammt aus der Londoner Elite – das könnte für ihn ein Nachteil sein.
Wo ist Starmer politisch zu verorten?
Er ist Teil der Londoner Elite, was für ihn bei der jetzigen Ausmarchung ein Handicap sein könnte. Für Labour geht es darum, die Wählerinnen und Wähler in den Heartlands, also in den Labour-Kernwahlkreisen, wieder zurückzuholen. Sie sind sozial konservativer als die Wähler in London. Deshalb stellt sich die Frage, ob nicht eine der Mitbewerberinnen um den Labour-Vorsitz, etwa Jess Phillips oder Lisa Nandy, die aus diesen Regionen kommen, bessere Chancen haben, die Bezirke von den Tories zurückzuerobern.
Sollte Labour nach der historischen Wahlniederlage unter Corbyn nicht zuerst eine programmatische Diskussion führen, bevor sie einen neuen Kopf als Anführer der Partei bestimmt?
Corbyn will nicht weitermachen, deshalb braucht Labour rasch einen neuen Chef. Auch haben viele Wähler bei Befragungen angegeben, sie hätten Labour wegen der Parteiführung nicht mehr gewählt – nicht, weil ihnen das Programm nicht zugesagt hätte. Die Sozialdemokraten haben also ein Führungs- und weniger ein Programmproblem.
Labour dürfte ihren linken Kurs weiterführen, wenn auch etwas pragmatischer.
Es ist also gut möglich, dass die britischen Sozialdemokraten auf dem dezidiert linken Kurs weiterfahren, den Corbyn eingeschlagen hatte?
Es sieht so aus. Keiner der fünf Bewerber distanziert sich klar davon. Philips stand Corbyn noch am kritischsten gegenüber. Aber auch sie betont immer wieder, dass das von Labour in den letzten Jahren entwickelte wirtschaftspolitische Programm richtig sei. Deshalb dürfte der dezidiert linke Kurs weitergeführt werden, wenn auch angereichert mit etwas pragmatischeren Elementen. Starmer, Philips und Nandy würden wohl auch den Bruch zum Labour-Programm unter Tony Blair nicht mehr so stark betonen, wie das unter Corbyn getan wurde.
Egal, wer künftig Labour anführen wird – das Parteiprogramm wird weitergeführt . Es ist also mit Kontinuität zu rechnen?
Grundsätzlich ja. Doch Corbyns Art zu politisieren – er stand für eine fast schon seltsame Graswurzel-Politik – dürfte unter einem Parteichef Starmer oder einer der Kandidatinnen wieder re-professionalisiert werden. Die Partei wird wieder stärker auf Expertise und weniger auf Gefühle und Enthusiasmus setzen, wie das unter Corbyn der Fall war. Der Stil der Labour-Politik wird sich unter der neuen oder dem neuen Vorsitzenden also ändern. Das tut der Partei gut, denn unter Corbyn gab es viel innerparteilichen Streit. Deshalb sehnt sich Labour jetzt nach mehr Ruhe und Einigkeit.
Das Gespräch führte Christoph Kellenberger.