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Lagerskandal in den USA «Der Wächter nahm den Kindern das Bettzeug weg»

Der Skandal um vernachlässigte Migranten-Kinder in Clint/Texas sorgt für Schlagzeilen. Eine Lager-Inspektorin erzählt, was sie dort angetroffen hat.

Warren Binford

Juristin

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Warren Binford ist Rechtsprofessorin mit Spezialgebiet Kinderrerchte an der Willamette University in Salem/Oregon. Sie gehört zu einem Inspektoren-Team, welches das Lager für Migrantenkinder in Clint/Texas besucht hat. Aussagen der Kinder veröffentlicht Binford auf ihrem Twitter-Account.

SRF News: Das Experten-Monitoring von Lagern, wo minderjährige Migranten festgehalten werden, gibt es seit vielen Jahren. Warum wenden Sie sich ausgerechnet jetzt an die Medien?

Warren Binford: Weil die Verhältnisse so gefährlich und unhygienisch sind. Einige der Kinder waren schon über drei Wochen dort – eigentlich sollten sie nach maximal drei Tagen dem Büro für Flüchtlingsaufnahme übergeben werden. Dann beginnt der Prozess der Wiedervereinigung mit ihrer Familie.

85 Prozent der Migrantenkinder brauchen keinen Staat, der für sie sorgt.

Im Schnitt haben 85 Prozent der Kinder Familie oder mögliche Sorgepersonen in den USA, 45 Prozent haben Eltern. Diese Kinder brauchen keinen Staat, der für sie sorgt. Der Staat muss bloss die Eltern oder Sorgepersonen anrufen, damit sie sie abholen kommen.

Was haben sie im Lager in Clint/Texas genau gesehen?

Es waren über 340 Kinder anwesend, als wir letzten Montag ankamen. 100 von ihnen waren Kleinkinder im Vorschulalter – und niemand hat sich um sie gesorgt. Wir fanden heraus, dass nach einem Grippeausbruch sogar sehr kranke Kinder keine medizinische Versorgung erhielten.

Kinder mit Grippe wurden in Quarantäne geschickt, wo sie auf Matratzen am Boden lagen.

Sie wurden stattdessen in die Quarantäne geschickt, wo sie auf Matratzen am Boden lagen. In einer Zelle gab es eine Läuseplage. Aber bloss sechs Kinder erhielten Läuseshampoo, die anderen mehreren Dutzend Kinder erhielten zwei Läusekämme. Als einer verloren ging, bestrafte der Wächter die Kinder, indem er ihnen das Bettzeug wegnahm und sie auf dem Boden schlafen mussten.

Konnten Sie diese Aussagen beweisen, etwa mit Videoaufnahmen?

Wir haben die Aussagen der Kinder. Zudem bestätigt ein eben geleakter Bericht des unabhängigen Inspektors des Departements der Inlandsicherheit unsere Untersuchungsergebnisse.

Die Behörden haben nach Ihren Aussagen reagiert und verschieben die Kinder nun in Zeltlager, wo Klimaanlagen und Duschen vorhanden sind. Allerdings befinden sich offenbar immer noch rund hundert Kinder im Lager in Clint?

Ja. Sie wissen nicht, wohin sie sie schicken sollen. Das ganze System ist unglaublich schlecht geführt. Die Kinder werden nicht gemäss dem Gesetz versorgt, auch nicht gemäss internationalem Recht. Das muss angegangen werden.

Bürokratische Richtlinien sollten niemals Familien trennen.

Was sollte Ihrer Meinung nach geschehen?

Alles muss unterbrochen und neu organisiert werden. Es müssen Standards für die Versorgung von Kindern definiert werden. Auch müssen die Kinder bei ihren Familien bleiben. Bürokratische Richtlinien sollten niemals Familien trennen. Wenn die Umstände es tun, dann müssen wir die Kinder so schnell wie möglich mit ihren Familien wiedervereinigen.

Die Sorge um diese Kinder könnte der Testfall sein, ob wir als Zivilisation überleben.

Der Kongress arbeitet diese Woche daran, endlich ein Hilfspaket für die humanitäre Lage an der US-Südgrenze zu verabschieden. Wie lautet Ihre Botschaft an die Politiker im Kongress?

Dass sie endlich aufhören, diese Kinder als politischen Spielball zu benützen, sondern dass sie sich einfach um sie kümmern. Das könnte uns als Nation vorwärtsbringen. Die Sorge um diese Kinder könnte die gespaltenen politischen Lager vereinigen. Es könnte der Testfall sein, ob wir als Zivilisation überleben: Erlauben wir es, dass die US-Regierung Kinder misshandelt und vernachlässigt, oder sind wir besser als das?

Das Gespräch führte Isabelle Jacobi.

Noch nie ähnliche Zustände angetroffen

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Die Anwaltsgruppe, zu der auch Warren Binford gehörte, hatte sich per Gerichtsbeschluss Zugang zu dem Lager in Clint, nahe El Paso in Texas verschafft. Laut Binford führt die Gruppe seit 20 Jahren Stichproben in Grenzlagern durch. Doch noch nie habe sie ähnliche Zustände wie in Clint angetroffen. Deshalb machte die Gruppe ihre Beobachtungen in der «New York Times» öffentlich. Wohl nicht zuletzt deswegen gab der interimistische Chef der US-Grenzschutzbehörde, John Sanders, inzwischen seinen Rücktritt per 5. Juli bekannt.

Aufgrund der steigenden Zahl illegaler Grenzübertritte aus Mexiko in die USA sind die Grenzlager massiv überlastet. Allein im Mai griffen US-Grenzpolizisten mehr als 144'000 Menschen auf, die illegal in die USA wollten. Die meisten von ihnen stammen aus Mittelamerika. Sie flüchten vor Gewalt und Armut aus ihrer Heimat – mit Ziel USA. US-Präsident Donald Trump rief einen Sicherheits-Notstand an der Grenze zu Mexiko aus und will dort eine Mauer bauen. (dpa)

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