Xiao Hai ist die Frustration sichtlich anzumerken. Er heisst in Wirklichkeit anders, doch vor dem Interview hat er darum gebeten, anonym zu bleiben.
Zusammen mit anderen Studierenden betrieb er einen Wechat-Kanal; eine Online-Chatgruppe, in der sich Homo- oder Bisexuelle und Transgender beraten lassen konnten. Die Universität habe davon gewusst und habe dies auch erlaubt.
Umso überraschter war er als die Gruppe vor rund zwei Wochen plötzlich gelöscht wurde. Wechat löschte aufs Mal gleich Dutzende solcher Kanäle von studentischen LGBT-Organisationen im ganzen Land.
«Zensur ist unberechenbar»
Immer wieder mit Zensur zu kämpfen hatte auch der schwule chinesische Filmemacher Fan Popo, auch er ist frustriert: «Als Filmemacher bist Du nutzlos, wenn Du Deine Filme nicht einem Publikum zeigen kannst.»
Fan Popo hat China inzwischen verlassen, er wohnt seit einigen Jahren in Berlin. Von der aktuellen Zensur der LGBT-Online-Gruppen in seinem Heimatland zeigt auch er sich schockiert.
Dabei sah es eine Weile so aus, als würde sich China hier öffnen. Die Regierung schaffte Ende der 1990er-Jahre ein Gesetz ab, mit dem zuvor Homosexuelle verfolgt wurden. Und ab 2001 galt Homosexualität in China offiziell nicht mehr als psychische Erkrankung.
Shanghai-Pride abgesagt
Bis Mitte der 2010er Jahre gab es sogar Web-Serien mit schwulen und lesbischen Charakteren, die ein Millionenpublikum erreichten – heute undenkbar. Die jährliche Shanghai-Pride – bereits zuvor äusserst unauffällig durchgeführt – darf seit letztem Jahr nicht mehr stattfinden.
Weshalb dieser Trend zu mehr Repression? Aktivist Xiao Hai vermutet, dass die Behörden Angst hätten vor gesellschaftlichen Umwälzungen. «Sie wollen nicht, dass sich zum Beispiel Studierende organisieren, sich Gruppen bilden, die lautstark ihre Rechte einfordern.»
Feministische Organisationen unter Druck
Diese staatliche Repression bekommen auch feministische Organisationen zu spüren. Zum Beispiel die Gruppe von Xiao Huang, auch sie heisst in Wirklichkeit nicht so. Die eigene Wechat-Gruppe sei schon vor einiger Zeit gelöscht worden, sagt sie.
Womöglich gehe es den Behörden um die Stabilität der Gesellschaft. Auch machten sie sich um die tiefe Geburtenrate des Landes Sorgen. «Dazu kommt die nationalistische Grundstimmung in China derzeit», sagt Xiao Huang. Alles, was nicht zu den traditionellen Werten passe, werde als Bedrohung wahrgenommen.
Der Vorwurf an Gruppen wie jene von Xiao Huang lautet, sie könnten vom Westen beeinflusst sein, ja gar finanziert und beeinflusst werden.
Auch Xiao Hai musste sich diesen Vorwurf schon anhören. Er schüttelt den Kopf. Wie es für seine Gruppe weitergeht, kann er nicht sagen. Die Repression, sagt Xiao Hai, wird auf absehbare Zeit wohl eher zunehmen.