Südamerika gilt als Biotop der Macho-Kultur: Hass, Hetze und Häme gegen Menschen jenseits heterosexueller Geschlechtergrenzen sind in Brasilien, Kolumbien oder Peru alltäglich. Nur in Argentinien passiert etwas:
Seit kurzem gibt es Pässe für Menschen, die sich weder männlich noch weiblich definieren. Zu den traditionellen Geschlechtsbezeichnungen «M» und «F» für Mann und Frau kommt eine geschlechtsneutrale Zuordnung mit dem Buchstaben «X» zur Auswahl hinzu. Argentinien ist jetzt das erste Land in Südamerika, das für seine trans- und nicht-binären Einwohner geschlechtsneutrale Pässe anbietet.
Argentinien setzt weltweit Massstäbe
Präsident Alberto Fernández hat an einer Pressekonferenz die ersten drei Pässe im neuen X- Format an Trans-Personen verteilt. «Es gibt neben der von Mann und Frau noch andere Identitäten, die respektiert werden müssen. Diese Identitäten haben immer existiert, nur dass sie bis jetzt versteckt leben mussten. Das wollen wir mit dieser Sichtbarkeit ändern», sagte Präsident Fernández.
Argentinien festige mit diesem Schritt seine Positionierung als eines der fortschrittlichsten Länder in Bezug auf LGBTI-Rechte, stellt das Portal queer.de fest. Als erstes lateinamerikanisches Land habe es nämlich bereits vor über zehn Jahren die Ehe für alle eingeführt. Seit 2012 könnten trans Menschen ihren Geschlechtseintrag ohne psychologisches Gutachten, medizinische Eingriffe oder Hormontherapie wechseln.
Im Juni verabschiedete der Kongress zudem ein Gesetz, das eine verpflichtende Transquote im öffentlichen Dienst vorschreibt. Ein Prozent der Jobs im öffentlichen Sektor müssen an Transpersonen gehen. Private Unternehmen sollen darüber hinaus finanzielle Anreize bekommen, um mehr Transpersonen einzustellen.
Tomás Máscolo, Transaktivist und Philosophie Professor an der Universität von Buenos Aires sagt gegenüber SRF News: «Argentinien ist ein Vorreiter bei der Unterstützung von Rechten für sexuelle Minderheiten. Der Kampf um diese Gesetze begann aber bereits 2015. Die erfolgreiche feministische Bewegung gegen Gewalt an Frauen «Ni una menos», hat schon immer auch die Rechte der Transpersonen mit einbezogen. Die Gesetze von heute sind Ergebnisse von jahrelangen Protesten und aktiven Bewegungen.»
Die Transquote im öffentlichen Dienst ist in Argentinien seit zwei Monaten Gesetz, sie wird aber bereits seit Ende letzten Jahres angewendet. Laut dem Ministerium für Frauen, Geschlechterpolitik und sexuelle Vielfalt wurden aber erst ein Zehntel der vorgeschriebenen Stellen mit Trans-Personen besetzt. Und dies obwohl 70 Prozent der Transpersonen in Argentinien arbeitslos sind.
Die Gesetze von heute sind Ergebnisse von jahrelangen Protesten.
Transaktivist Tomás Máscolo: «Ich bezweifle sehr, dass alle diese Gesetze, welche wir erreicht haben, auch wirklich umgesetzt werden. Da kann die Regierung noch lange sagen, ein Prozent der Jobs sollen an Transpersonen gehen, und dann wird es einfach in den Provinzen nicht umgesetzt. Die Gesetze sind auf dem Papier sehr fortschrittlich. Im wirklichen Leben sind sie zum Teil weit von der Realität entfernt.»
Seit seiner Wahl 2019 setzt sich der argentinische Präsident Fernández für progressive Sozialreformen ein. Unterstützt wird er von seinem Sohn Estanislao, der bekanntesten Dragqueen Argentiniens. Estanislao bezeichnet sich weder ausschliesslich männlich noch weiblich und hat bereits den neuen genderneutralen Pass beantragt.