Schätzungsweise 1.5 Millionen syrische Flüchtlinge leben im Moment im Libanon. Viele von ihnen sollen nun ausgeschafft werden. Und auch die mehreren Zehntausend Syrer, die in der türkischen Grossstadt Istanbul leben, sollen die Stadt verlassen. Die beiden Nachbarländer Syriens eint die wirtschaftlich desolate Lage.
Viele Libanesen denken, die Syrer nehmen ihnen die Jobs weg.
«Selbst wenn man im Libanon Arbeit hat, ist es schwierig, von dem Lohn zu überleben», schildert die Journalistin Meret Michel, die im Frühling nach einem einjährigen Aufenthalt im Libanon in die Schweiz zurückgekehrt ist. «Viele Libanesen denken, die Syrer nehmen ihnen die Jobs weg.» Eigentlich dürften die syrischen Geflüchteten nur auf dem Bau, in der Landwirtschaft oder als Putzhilfen tätig sein. Doch sie arbeiteten faktisch überall, da sie billige Arbeitskräfte sind.
«Letztlich liegt es an den Arbeitgebern, das zu ändern», so Michel. Diesen drohen nun durch ein neues Gesetz aber auch hohe Geldstrafen, wenn sie Ausländer illegal beschäftigen. Viele Syrer sind deshalb entlassen, Geschäfte von Selbständigen geschlossen worden. «Das Ziel ist, den Syrern zu verunmöglichen, eine Lebensgrundlage im Libanon zu haben», so Michel. «Sie sollen damit letztlich dazu gebracht werden, freiwillig zurückzugehen.»
Das Ziel ist, den Syrern zu verunmöglichen, eine Lebensgrundlage im Libanon zu haben.
Ein weiterer Grund für die Abneigung gegenüber den Flüchtlingen sieht Michel in der Vergangenheit: Die syrische Armee war über 30 Jahre lang im Libanon stationiert. «Viele Libanesen erzählen noch heute Horrorgeschichten von Folterungen und Vergewaltigungen durch syrische Soldaten», so die Journalistin.
Aber auch die Angst der christlichen Gläubigen, ihre Machtposition zu verlieren, spiele mit. «Sie haben eine Urangst davor, dass die Muslime die Mehrheit werden könnten.» Umgekehrt würden viele Syrer kaum mehr das Haus verlassen aus Angst vor einer Ausschaffung, so Michel. «Manche hängen sich ein Kreuz um den Hals, um sich als Christen auszugeben.»
Türkische Deportationen nach Idlib
Auch in der Türkei will die Regierung ihre Bevölkerung besänftigen, die wegen der ökonomischen Krise zunehmend feindselig auf die Flüchtlinge reagiert. Laut einer Statistik von Anfang August wurden bereits 16'000 Menschen aus Istanbul ausgeschafft. 13'000 davon sind in andere türkische Städte zurückgebracht worden. Die restlichen 3000 Menschen hatten keinerlei Registrierung und wurden in Aufnahmelager gebracht.
«Eine freiwillige Rückkehr war das nicht: Sie sind in einen Bus gesetzt und dorthin gebracht worden», schildert der freie Journalist Thomas Seibert, der in Istanbul lebt. Die Berichte häufen sich, wonach Flüchtlinge nach Syrien deportiert werden – auch in die noch immer umkämpfte nordsyrische Stadt Idlib. Mehrere Hundert Menschen sollen betroffen sein. Dass solche Rückschaffungen stattgefunden haben, sei «einigermassen verlässlich», so Seibert. Er hatte Kontakt mit syrischen Aktivisten und direkt Betroffenen.
Rückführungen hätten ohne das Wissen der Behörden nicht stattfinden können.
Von Ankara kommt hingegen ein Dementi. «Möglicherweise handelt es sich um Einzelaktionen von Behördenvertretern, die möglichst viele Rückschaffungen aus Istanbul melden wollen», so Seibert. Es seien Zweifel angebracht, dass diese Ausschaffungen nach Syrien eine offizielle Strategie der türkischen Regierung seien. Doch er ist sich sicher: «Rückführungen hätten ohne das Wissen der Behörden in Istanbul oder Ankara nicht stattfinden können.»