Nach dem Attentat hat die neuseeländische Regierung beschlossen, die Waffengesetze zu verschärfen. Treibende Kraft bei diesem Beschluss war Premierministerin Jacinda Ardern. Urs Wälterlin über die junge sozialdemokratische Politikerin und ihre Verdienste.
SRF News: Wird die junge Premierministerin der schwierigen Rolle als Krisenmanagerin gerecht?
Urs Wälterlin: Ja. Sie kommt rüber als politische Führerin, wie sie sich wohl so manches andere Land wünschen würde. Jacinda Ardern macht nicht nur einen kompetenten Eindruck, wenn es um das Management dieser grössten Krise der jüngeren Geschichte geht. Sie ist auch sehr mitfühlend.
Aus Distanz sieht das nach echter Anteilnahme aus. Wie wirkt das auf Sie?
Das ist sicher so. Ardern spielt keine Rolle, ihr Schmerz ist echt. Dieser zeichnet sich in diesen Tagen auch in ihrem Gesicht ab, wenn man die Bilder ansieht. Sie leidet mit den Angehörigen der Opfer, sie leidet mit der Nation, die vergangenen Freitag auf eine gewisse Art und Weise ein Stück ihrer Unschuld verloren hat.
Ihr Schmerz ist echt. Sie leidet mit der Nation.
Heute entschied das Kabinett in Neuseeland, die Waffengesetze zu verschärfen. Ist das ein Verdienst Arderns?
Ardern ist sicher die treibende Kraft. Sie hat gerade wegen ihrer Mischung von Mitgefühl und der Entschlossenheit, aus dieser furchtbaren Situation das Beste zu machen, eine Kompetenz, die ihr niemand absprechen will. Und sie hat nicht nur den Grossteil der öffentlichen Meinung hinter sich. Nach diesen schrecklichen Verbrechen hat sie auch die moralische Autorität.
Was muss sie als Nächstes anpacken?
Ein grosses Thema wird sein, wie man solche «Lone Wolf»-Attacken überhaupt verhindern kann. Ich habe das Gefühl, dass durch diesen Anschlag jetzt doch einiges in Bewegung kommen wird in dieser Frage. Dass sich Politiker und Sicherheitskräfte zusammensetzen werden und gemeinsam einen Weg suchen, wie man solche Leute bereits früh identifizieren und aus dem Verkehr ziehen kann. Ob sie ihn finden, ist eine andere Frage.
Ardern ist seit Herbst 2017 Premierministerin Neuseelands. Damals fiel sie als Erstes mit ihrer Mutterschaft auf.
Sie ist weltweit erst die zweite Regierungschefin, die im Amt ein Kind geboren hat. Dass Ardern sich entschlossen hat, ihr Amt trotzdem weiterzuführen, und zwar zu hundert Prozent, hat viele Frauen inspiriert. Sie hat allerdings auch ein Glück, das nicht alle Frauen haben. Ihr Partner hat seine eigene Karriere auf Eis gelegt und kümmert sich nun Vollzeit um das Kind. Hat das Baby Hunger, bringt er es seiner Mutter zum Stillen. Ob die nun gerade im Flugzeug zur UNO nach New York sitzt oder im Parlament debattiert.
Was hat Ardern bisher geleistet?
Sie hat schon kurz nach Amtsbeginn einige der grössten Herausforderungen angepackt, und zwar ohne Rücksicht auf eingewurzelte Interessen – auch nicht die ihrer eigenen Partei. Sie geht die Immobilienkrise und die Arbeitslosigkeit an. Umweltprobleme stehen zuoberst auf ihrer Agenda. Obwohl Neuseeland mit seinen 4.7 Millionen Einwohnern global nur minimal dazu beiträgt, sagt sie dem Klimawandel den Kampf an.
Umweltprobleme stehen zuoberst auf Arderns Agenda.
Und das in einem Land, dessen Tourismus vom Image lebt, «sauber» und «grün» zu sein. Es ist ein Image, das dieses Land angesichts zerstörerischer Intensiv-Landwirtschaft längst nicht mehr verdient. Ardern kippte auch die Bewilligungen für die Suche nach Ölvorkommen. Die Rohstoffindustrie schnappte wild nach Luft. Aber das war erst der Anfang. Die Premierministerin will Neuseeland bis 2050 kohlenstoffneutral machen.
Das Gespräch führte Matthias von Wartburg.