Würde man die ungarische Medienlandschaft malen, die dominierende Farbe wäre Orange – die Farbe von Fidesz, der Partei von Ungarns Regierungschef Viktor Orbán.
Über 400 Zeitungen und Newsportale, Fernsehsender und Radiostationen werden seit 2018 von der Fidesz-nahen Zentraleuropäischen Presse- und Medienstiftung (Kesma) kontrolliert. Die staatlichen Radio- und Fernsehstationen berichten schon länger auf Regierungslinie.
Kaum unabhängige Lokalmedien
Medien ohne Parteifarben werden seltener in Ungarn. Aber auf nationaler Ebene gibt es sie noch: Den Fernsehsender RTL Klub, das Klubrádió oder das neu lancierte Internetportal telex.hu, gegründet von Journalisten des bis vor kurzem wichtigsten Nachrichtenportals Ungarns, index.hu. Im Lokaljournalismus hingegen muss man Unabhängigkeit mit der Lupe suchen.
«Szabad Pécs» ist so eine unabhängige, lokale Internetzeitung. Wer das Redaktionsbüro in der südungarischen Provinzhauptstadt Pécs sucht, geht durch einen düsteren Innenhof, vorbei an einer Drogenanlaufstelle und landet in einem kargen Raum, der kleiner ist als ein Badezimmer in einer durchschnittlichen Schweizer Mietwohnung.
Werbekunden haben Angst zu inserieren
«Szabad Pécs» erreicht täglich rund zehntausend Leserinnen und Leser. Das ist ein beachtlich. Und trotzdem fehlt immer das Geld. Spenden plus jährlich 2000 Euro Werbeeinnahmen reichen nicht mehr für zwei volle Stellen. Und so arbeitet heute nur noch Attila Babos Vollzeit für die Internetzeitung.
«Unser finanzielles Hauptproblem ist die fehlende Werbung», sagt Babos. Der grösste Werbekunde Ungarns, der Staat, berücksichtigt nur «Fidesz»-treue Medien. Und private Werbekunden hätten oft Angst vor Repressalien, sagt der Journalist. Sie befürchteten, dass «Fidesz»-Leute sie bestrafen oder Geschäftspartner sich von ihnen abwenden könnten, weil die es sich mit der Regierungspartei nicht verscherzen wollen.
Es ist eine Angst, die Babos kennt: «Wenn es mit «Szabad Pécs» einmal vorbei ist, kann es gut sein, dass ich hier keinen Job mehr finde.» Pécs ist Provinzhauptstadt und hat gut 140'000 Einwohnerinnen und Einwohner. Das ist klein genug, dass jeder weiss, wer wer ist, und auch, wer sich mit wem überworfen hat.
Ich muss etwas tun für unabhängige Medien.
Babos und sein Redaktionskollege Ervin Güth haben jahrelang für die hiesige Regionalzeitung geschrieben. Doch als diese 2017 von einem Freund von Regierungschef Viktor Orbán gekauft wurde, verloren sie und andere unabhängige Journalisten ihre Stellen.
Und so gründeten sie «Szabad Pécs» – auf deutsch: «Freies Pecs». Ervin Güth, der heute von anderen Schreibaufträgen lebt und nur noch Teilzeit im engen Büro von «Szabad Pécs» arbeitet, sagt: «Ich hatte das Gefühl, wenn ich an Demokratie und unabhängigen Journalismus glaube, dann muss ich etwas dafür tun.»
In den letzten beiden Jahren berichtete «Szabad Pecs» über die frühere Stadtregierung, die ihre Rechnungen nicht zahlte, über Schulen, die zu wenig Mittel bekamen oder über die vielen neuen Überwachungskameras in Pécs.
Ignoriert von den Regierenden
Bei aller Überzeugung, das alltägliche Ringen um unabhängigen und ausgewogenen Journalismus ist oft frustrierend. Vertreter der Regierungspartei ignorieren die beiden Journalisten, wo es nur geht.
«In der Regel bekommen wir auf die harmlosesten Fragen keine Antwort», sagt Güth. Zu Medienveranstaltungen würden sie konsequent nicht eingeladen.
Sie sind kritischer als ich dachte.
Immerhin: Geht es um Lokalpolitik in der Stadt Pécs, ist die Arbeit für Babos und Güth seit knapp einem Jahr einfacher geworden. Seit letzten Herbst sitzt im schmucken Art-Déco-Rathaus von Pécs nämlich kein «Fidesz»-Mann mehr, sondern Attila Péterffy, ein Parteiunabhängiger.
Péterffy schätzt «Szabad Pécs»: «Sie sind praktisch die einzigen hier, die politisch unabhängig berichten. Ich muss zugeben: Sie sind kritischer als ich dachte, bevor ich selbst als Stadtpräsident von ihnen kritisiert wurde. Aber das ist gut so. Auch ich brauche Kontrolle.»
«Szabad Pécs» als Vorbild
Auch der Medienrechtler Gábor Polyák ist der Überzeugung, dass alle Politiker Medien brauchen, die ihnen auf die Finger schauen. Er ist Professor an der Universität von Pécs und ein Kenner der ungarischen Medienlandschaft.
«Die Gründung von ‹Szabad Pécs› war ein wichtiges Signal für unabhängige Lokalmedien in ganz Ungarn», sagt Polyák. Die Internetzeitung aus Pécs habe gezeigt, dass unabhängiger Lokaljournalismus in Ungarn noch möglich ist. Und tatsächlich riefen Journalistinnen und Journalisten in den letzten Jahren da und dort in Ungarn kleine Internetzeitungen ins Leben – fast immer alleine oder zu zweit.
Unabhängige Lokaljournalisten arbeiten unter prekären Bedingungen.
«In meinen Augen sind das die Helden der Pressefreiheit», sagt Polyak. «All diesen Journalistinnen und Journalisten geht es nicht um das Geld. Sie alle arbeiten, weil sie es für wichtig halten. Alle arbeiten unter prekären finanziellen Bedingungen.»
Besonders vor den Lokalwahlen letzten Herbst hätten solche lokalen Internetzeitungen eine wichtige Rolle gespielt, sagt der Medienrechtler. Vielerorts hätten nur sie den Wählerinnen und Wählern unabhängige Informationen geliefert.
Der Staat verzerrt den Wettbewerb
Allerdings könnten Mini-Zeitungen wie «Szabad Pécs» das Hauptproblem des unabhängigen Journalismus in Ungarn nicht lösen, sagt der Medienwissenschaftler: «In Ungarn kann man nicht von einem Wettbewerb in der Medienbranche sprechen. Die regierungsnahen Medien bekommen in Form von Werbung riesige Summen an staatlicher Unterstützung. Die anderen bekommen nichts.»
Der Zustand der ungarischen Medienlandschaft sei alarmierend, kam vor kurzem auch ein Bericht der EU zum Schluss. Die ungarische Regierung hielt dagegen: Es gebe Medien- und Meinungsfreiheit in Ungarn und es gebe unabhängige Medien, grosse und kleine wie «Szabad Pécs».
«Stimmt schon, es gibt Medien- und Meinungsfreiheit in Ungarn», antwortet der Journalist Ervin Güth im kargen Redaktionsbüro von «Szabad Pecs». «Aber die Frage ist doch, wie viele Leserinnen und Leser du unter diesen Bedingungen mit unabhängigem Journalismus erreichen kannst.»