Im Stadtviertel «Fakultät» in Sofia rauchen nicht Köpfe, sondern Schornsteine – beissender Rauch, schmerzende Lungen. Als hätte man ein Päckchen Zigaretten auf einmal geraucht.
Der Rauch steigt auf aus schiefen Hütten – Plastikplanen, wo das Dach sein sollte. Pferde traben auf Schlamm-Pfaden, ziehen Holzkarren – Spritzer sprenkeln Luxus-Karossen, die am Wegrand warten, braun. Die «Fakultät» ist das grösste Roma-Viertel der bulgarischen Hauptstadt.
Die Ärmsten heizen mit Abfall
Nahe beim Waldrand sind die Häuschen besonders klein. Feuchtes Brennholz liegt auf dem Boden, eine Familie lädt es auf ihren Karren.
«Wir bekommen das Holz von der Gemeinde», sagt eine Frau mit hennaroten Haaren. «Es ist schlecht, es wird jedes Jahr teurer. Aber immerhin.» Daneben steht eine Frau mit gelber Strickjacke und schaut zu – nichts als Wolle gegen Winterkälte. Sie hat kein Holz.
«Ich verbrenne, was ich finde – Autoreifen, Schuhe, Kleider.» Im Moment sei es draussen wärmer als drinnen. «Mein Mann ist seit Jahren verschwunden – er war in Sofia gemeldet, ich nicht. Deshalb habe ich keine Dokumente, deshalb bekomme ich gar nichts von der Gemeinde. Überhaupt, ich muss mit 70 Franken Rente im Monat leben – und brauche doch Medikamente. Ich habe kein Geld für Holz zum Heizen.»
Müll verbrennen, um nicht zu erfrieren – das stinkt. Das muss auch der Mann nebenan riechen, der mit dem Kind vor seinem kleinen Laden steht. «Natürlich stinkt es», sagt er. «Aber ich kann doch nicht auf diese armen Leute losgehen, die müssen doch auch überleben.»
Tausende Tote jedes Jahr
Sofias grösstes Problem ist Feinstaub, tausende Menschen sterben jedes Jahr in der Stadt mit ihren zwei Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern, weil zu viel davon in der Luft schwebt – das sagt die Weltgesundheitsorganisation. Sie führt Sofia denn auch als dreckigste Hauptstadt der Europäischen Union, wenn es um die Luft geht. In der EU hat nur eine Stadt noch schmutzigere Luft: Pernik, ebenfalls in Bulgarien, nicht weit von Sofia.
Das Heizen ist ein Grund für die schlechte Luft – Müll für die Ärmsten, schlechte Kohle für weniger Arme. Den zweiten Grund sieht man auf den Strassen Sofias: Hier fahren Autos, die der Westen längst ausrangiert hat – an manchen klebt noch der «CH»-Kleber aus der Schweiz.
Petar Kirov hat ein modernes Auto. Im Roma-Viertel Fakultät hält er jetzt seine kleine Messstation in die Höhe, Sensoren messen die Luft, er schaut auf den Bildschirm. Petar Kirov arbeitet für Air Bulgaria, eine Organisation von Freiwilligen, die gefahrlos atmen wollen.
«Meine Messung zeigt: Hier ist die Luft nicht sauber. Seltsam ist nun: Die Messstationen unserer Regierung zeigen an, dass die Luft heute gut ist in Sofia.»
Wie das sein kann? Die Leute von Air Bulgaria, es sind hunderte, messen ständig und fast überall in der Stadt – im Internet sieht man ihre Resultate. Die Stadtregierung aber misst nur an relativ wenigen Orten, gar nicht in den dreckigsten Quartieren, gar nicht im viel befahrenen Stadtzentrum. Auch das kann man im Internet sehen.
Das Gefährlichste wird nicht gemessen
Und, das findet Petar Kirov noch verrückter, «am gefährlichsten ist der ganz feine Feinstaub, sind die kleinsten Partikel. Ausgerechnet den aber hat die Regierung bis vor kurzem fast nirgendwo gemessen.» Diesen Dezember schliesslich hat sie ein paar Stationen fürs Messen dieses sogenannten 2.5 Feinstaubs installiert – auch wegen des Drucks von Organisationen wie Air Bulgaria, deren Messresultate jeder nachvollziehen kann. Aber die Messstationen der Regierung sollen erst einmal nur Daten sammeln. Veröffentlicht wird noch nichts, gehandelt wird auch nicht.
Die Politiker nähmen den Kampf für bessere Luft nicht ernst, sagt Petar Kirov. Dabei: «Wir müssen diesen Krieg gewinnen» – Petar Kirov war früher im Militär. Die Qualität der Luft sei eine der drei grössten Sorgen der Bulgarinnen und Bulgaren.
Für die Politik ist fast alles gut
Weit weg von der «Fakultät», in Sofias schickem Zentrum, an einer der wenigen autofreien Ecken, wundert sich Vize-Stadtpräsidentin Joana Hristova in ihrem grossen Büro: welchen Krieg denn?
«In den letzten Tagen hatten wir vor allem Nebel, keinen Smog. Das ist ganz normal im Winter», sagt sie. «Klar, Feinstaub ist auch in der Luft. Aber nichts wirklich Gefährliches wie Dioxid.»
Ganz zufrieden ist Joana Hristova aber nicht. Sonst würde sie jetzt kaum aufzählen, was Sofia alles tut für bessere Luft: Die Stadt baut die U-Bahn aus, will alle Autos etikettieren, um besonders schmutzigen die Fahrt ins Stadtzentrum verbieten zu können, erneuert Heizungen, erlässt Normen für die Feuchtigkeit im Brennholz, büsst Leute, die Müll verbrennen und kontrolliert häufiger, was verbrannt wird.
Geheime Zahlen zur Luft
Solche Dinge wirkten, es sei heute weniger Feinstaub in der Luft als noch vor zehn Jahren. Zum Beweis liest die Vize-Stadtpräsidentin viele Zahlen von einem Blatt Papier ab.
Das wollen wir überprüfen, deshalb die Frage: Können wir diese Zahlen sehen? Nein, sagte die Vize-Stadtpräsidentin, die seien nur für den internen Gebrauch. Vertrauen erwecken, das gehe anders, würden die Leute von Air Bulgaria sagen.