Griechenlands neuer Premierminister Alexis Tsipras hat in den vergangenen Tagen viel Staub aufgewirbelt. Nun hat er sich zu einer ersten Reise seit seinem Amtsantritt aufgemacht. Auf der Agenda steht heute Dienstag ein Mittagsbesuch beim italienischen Amtskollegen Matteo Renzi.
Geplant sind Gespräche zur europäischen Wirtschaftskrise und zur Kooperation der Mittelmeer-Staaten. Das ist nicht umsonst vage formuliert: Es wird ein erstes Beschnuppern zweier Politiker, die sich auf den ersten Blick durchaus ähneln. Tsipras will die korrupten Strukturen etablierter Parteien aufbrechen, Renzi nennt sich selber den «Verschrotter» – weil er aufräumen will mit verkrusteten Eliten.
«Alter Ego aus Athen»
«Es wird ein kollegiales Treffen», meint Philipp Zahn, SRF-Korrespondent in Rom. «Renzi ist wohl neugierig auf Tsipras. Er will erfahren, wie sein Alter Ego aus Athen tickt.» Für Tsipras ist der Rom-Besuch eine Station auf seiner Auslandsreise, wo er auf Wohlwollen zu treffen hofft. «Tsipras will im näheren Umfeld für sich werben – und Berlin erstmal auslassen.»
Näheres Umfeld heisst hier soviel wie: die mediterranen Länder Europas. Diese freuen sich, wenn sich der Blick der Europäischen Union (EU) zugunsten ihrer Herausforderungen verschiebt. Es sind die Staaten, die unter der bisherigen strikten Sparpolitik am meisten gelitten haben. So begrüsse Renzi denn auch die Veränderungen in der Eurozonen-Politik, erklärt Zahn. «Er unterstützt das Konjunkturförderungs-Programm von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker» – weg vom Sparen, hin zum Wachstum.
«Brüderlichkeit» zwischen Jurist und Bauingenieur
Renzi hofft auf die Festigung einer Interessensgemeinschaft, deren Stützpunkte in Athen und Rom, Madrid und Paris liegen. Tsipras ist bisher mit seiner ungestümen Art und angriffigen Rhetorik aufgefallen.
Renzi ist keiner, der ständig zu Rundumschlägen neigt – ein Realpolitiker, trotz aller Visionen. Der studierte Jurist weiss, wie man sich auf dem internationalen politischen Parkett bewegt, ohne das Gegenüber vor den Kopf zu stossen.
Tsipras hingegen ist ein absoluter Neuling auf dem Gebiet. Deswegen sei durchaus zu erwarten, dass Renzi seinem griechischen Kollegen Ratschläge gibt, meint Zahn. Er werde dem Athener Bauingenieur «auf brüderliche Weise» raten, wie sich dieser verhalten soll – ohne zuviel Porzellan zu zerschlagen. Der 41-jährige Grieche kann also einiges von Renzi lernen.
Newcomer und Vermittler profitieren
Doch auch dieser kann vom Treffen profitieren. «Renzi kann im Wasser des forschen Tsipras mitschwimmen, ohne negativ aufzufallen», so Zahn. «Er wird sich sicher nicht direkt vor den Karren spannen lassen. Da ist er schlau genug.» Doch der Italiener kann sich als Vermittler zwischen dem ungestümen Newcomer und der EU positionieren – und so seine eigene Rolle festigen.
Das politische Heu haben die beiden nahezu Gleichaltrigen zwar auf demselben Bauernhof, doch nur bedingt auf derselben Bühne. Renzi steht Mitte-Links. Er hat innerhalb seiner Partei – die auch eine linkskatholische Strömung hat – einen de facto relativ kleinen Spagat zu bewältigen. Seine Koalition weist weit grössere thematische Schnittmengen auf als die griechische.
Mittelmeer-Staaten: Gemeinsame Herausforderungen
Tsipras hat einen politisch klar linken Hintergrund – er hatte sich bereits mit 16 Jahren in der damaligen Kommunistischen Jugend engagiert. Heute steht er einerseits der Bündnispartei Syriza vor, die sich aus vielen kleinen Parteien zusammensetzt. Und seine Koalition mit der rechtspopulistischen Anel schliesst diverse Haltungen ein – er muss auch zuhause ein bereites Spektrum befriedigen.
Doch eines verbindet die neuen Sterne am Polithimmel: Sie wollen beide eine «Abkehr von der alten Politik», so Zahn. Sie stehen vor einer gemeinsamen Herausforderung: Nun müssen sie für ihre jeweiligen Staaten einen neuen Weg finden – weg von der Verschuldung hin zu einem langfristigen Wachstum. Nicht zuletzt ist laut Zahn «Griechenland für Italien ein abschreckendes Beispiel» gewesen. Eine gute Beziehung zwischen den beiden Mittelmeer-Politikern kann nur beiden nützen.