Feuergefechte, Barrikaden und offenbar auch Geiselnahmen: In der Ex-Sowjetrepublik Kirgistan tobt ein erbitterter Machtkampf. Beim gestrigen Versuch des amtierenden Präsidenten Sooronbaj Scheenbekow, seinem Vorgänger habhaft zu werden, ist es zu gewaltsamen Ausschreitungen gekommen. Polizisten versuchten zunächst vergeblich, dessen Anwesen zu stürmen.
Der Hintergrund: Ex-Präsident Almasbek Atambajew sieht sich Korruptionsvorwürfen ausgesetzt. Etwa 1000 seiner Gefolgsleute stellten sich den Uniformierten in den Weg, errichteten mit Autos und Bussen Barrikaden. Heute Nachmittag versuchten Sicherheitskräfte erneut, in die Villa einzudringen. Mit Erfolg: Atambajew wurde laut Medienberichten festgenommen.
Atambajew soll nun zu einem Verhör gezwungen werden. Der Ex-Präsident der sozialdemokratischen Partei von Kirgistan verweigerte dies bis am Mittwoch und hatte mitteilen lassen, dass er weiter Widerstand gegen seine Festnahme leisten werde – auch mit Waffengewalt.
Ziemlich beste Freunde
Wie Edda Schlager, Journalistin und Expertin für Zentralasien berichtet, werden dem Ex-Präsidenten krumme Geschäfte während seiner Amtszeit (2011-17) vorgeworfen. Währenddessen hat Atambajew beachtlichen Reichtum angehäuft, den er auch gerne zeigt. Im Juli hat das Parlament seine Immunität aufgehoben.
Der etwas abgehalfterte Ex-Präsident versucht mit aller Macht, seine Einflusssphäre zu behalten.
«Offiziell will Kirgistan als Rechtsstaat dastehen und demonstrieren, dass der Staat gegen Korruption vorgeht.» Inoffiziell würden aber andere Gründe für das Durchgreifen kolportiert: Scheenbekow fühlt sich von seinem Vorgänger gegängelt.
In Zentralasien geben sich die Autokraten die Klinke in die Hand. Ein turbulenter Machtwechsel erstaunt auf den ersten Blick nicht – im Fall von Kirgistan allerdings schon. Scheenbekow hatte Atambajew im Oktober 2017 abgelöst. Es war die erste Stabsübergabe, die nach Umstürzen in den Jahren zuvor friedlich ablief.
Die Marionette emanzipiert sich
Allerdings behielt Atambajew die Fäden in der Hand. Buchstäblich: «Er hat Scheenbekow damals als Marionette eingesetzt.» Bald musste Atambajew feststellen, dass sich sein Statthalter von ihm emanzipierte; öffentlich prangerte er Manipulationsversuche durch seinen einstigen Förderer und dessen Umfeld an.
«Und er fällte eigenständige politische Entscheidungen, die sich unmittelbar gegen ihn, den alten Präsidenten, richteten», berichtet Schlager. Schliesslich entledigte sich Scheenbekow zunehmend der verbliebenen Machtelite. So entliess er etwa den Vizepremier, einen Vertrauten Atambajews.
Was sich derzeit im Sechs-Millionen-Einwohner-Staat abspielt, bezeichnet Schlager als «Kulmination des Konflikts zweier Machthaber», der sich schon seit zwei Jahren im Schatten der Weltöffentlichkeit abspielt. «Der etwas abgehalfterte Ex-Präsident versucht mit aller Macht, seine Einflusssphäre zu behalten.»
Endemische Korruption
Scheenbekow dagegen habe seit seinem Amtsantritt einen klugen politischen Kurs eingeschlagen und sich etabliert. Wichtig für das Land an der Peripherie Zentralasiens sei nun, dass es nicht in Instabilität abrutsche.
Denn trotz des Rufs als «Insel der Demokratie» habe das Land gravierende Probleme, erklärt Schlager. Die endemische Korruption und Vetternwirtschaft blockiere wichtige Reformen: «Das verhindert eine demokratische Entwicklung, wie wir sie uns in Europa vorstellen.»