Die USA haben ihre Truppen aus Afghanistan abgezogen. Nun greifen die Taliban unerwartet schnell nach der Macht. Was US-Präsident Joe Biden und seine Gegner dazu sagen.
SRF News: In den USA fallen die Reaktionen auf die aktuellen Ereignisse in Afghanistan teils heftig aus. Wie äussert sich das?
Isabelle Jacobi: In den US-Medien wurde die Biden-Regierung aus allen Kanälen mit Kritik beschossen. Besonders heftig fällt sie auf der republikanischen Seite aus. Die spricht von einem völligen Versagen der Biden-Regierung. Das Trump-Lager liess es sich nicht nehmen zu behaupten, dass der ehemalige US-Präsident den Rückzug geordneter zu Ende geführt hätte – was natürlich nicht zu überprüfen ist. Die Demokraten hingegen stützen den Entscheid von Präsident Biden, sich aus Afghanistan zurückzuziehen, aber äussern sich besorgt über die Sicherheitslage vor allem der alliierten Personen in Afghanistan.
Wie verteidigt sich die Regierung Bidens?
Präsident Joe Biden selber hat in einem Kommuniqué am Freitag klargemacht, dass er den Rückzug wie geplant durchziehen will. Seither hat er sich nicht mehr geäussert. Sein Aussenminister Antony Blinken jedoch trat in den Sonntagsshows auf und erklärte, es gebe keine Alternative zum Rückzug.
Das Friedensabkommen sei schon von der Trump-Regierung verhandelt worden. Hätte man dieses gebrochen, wäre es wieder zu einem heissen Konflikt mit den Taliban gekommen. Und das sei nicht im Interesse der USA. Das amerikanische Volk wolle diesen Krieg beenden.
Die Terrorgefahr in den USA ist wieder in aller Munde.
Ihren Einmarsch in Afghanistan vor 20 Jahren begründeten die USA mit dem Kampf gegen den Terror. Nun lassen die radikal-islamischen Taliban in Afghanistan ihre Leute aus den Gefängnissen frei. Entsteht daraus eine neue Debatte über die Terrorgefahr, der die USA ausgeliefert ist?
Ja, die Terrorgefahr ist wieder in aller Munde. Das Vertrauen in die Einschätzungen des Pentagon ist geschwunden. Nach dem unerwarteten Kollaps der afghanischen Armee fragen heute vor allem republikanische Stimmen wieder, ob es auch punkto Terrorgefahr eine Fehleinschätzung gibt. Tatsächlich hat offenbar der Generalstab beim heutigen Sicherheits-Briefing im Senat bestätigt, so heisst es in den US-Medien, das Risiko sei höher, als man vorher gedacht habe. Und für die Biden-Regierung ist es ein Debakel. Sie muss sich vorwerfen lassen, dass sie 20 Jahre nach 9/11 den Taliban die Möglichkeit gelassen hat, wieder so stark zu werden.
Das Gespräch führte Hans Ineichen.