Immerhin hat sich der UNO-Menschenrechtsrat rasch zu einer Dringlichkeitssitzung zusammengefunden. Viele Dutzend Länder, nicht zuletzt westliche, darunter die Schweiz, hatten sie gefordert. Doch es gab auch zwei prominente Abwesende, denn weder China noch Russland fanden ein solches Treffen nötig.
Ganz anders Michelle Bachelet, die Hohe Kommissarin für Menschenrechte der Vereinten Nationen. Sie forderte die Welt auf, Druck zu machen auf die neuen Herren in Kabul.
Laut glaubwürdigen Informationen hätten diese in den vergangenen Tagen bereits ganze Gruppen von Menschen ermordet, hielten Mädchen vom Schulbesuch ab und unterdrückten Proteste schon im Ansatz mit roher Gewalt. Kurz: Die Bärtigen kehren zurück zu ihren alten, üblen Praktiken. Von einer Mässigung keine Spur. Es gibt keine «Taliban Light».
«Schande für den Menschenrechtsrat»
Angesichts dieser dramatischen Schilderung hätte man eine scharfe Resolution des Menschenrechtsrates erwartet. Eine, die zumindest die Taliban verbal an den Pranger stellt. Eine, welche die sofortige Einsetzung eines UNO-Sonderberichterstatters und einer Untersuchungskommission vorsieht. Oder wenigstens einer Fact-Finding-Mission.
Kurz, ein Beschluss, der möglich macht, dass die Welt künftig aus neutraler Quelle erfährt, was in Afghanistan abgeht, was die Taliban treiben. Eine Resolution, die zumindest politisch Druck macht auf die neuen alten Herrscher.
All das verlangt die Resolution gerade nicht. Sie basiert notabene auf einem Entwurf Pakistans. Ausgerechnet Pakistans! Jenes Landes also, das seit Jahren die Taliban unterstützt und deren Führung Unterschlupf bot.
In der Resolution werden die Taliban nicht einmal genannt. Sie wirkt eher wie ein höflicher Aufruf, doch bitte die Rechte der Frauen zu respektieren und eine breit abgestützte Regierung zu bilden. Sowie Ausreisewillige ausreisen zu lassen.
Die Taliban-Führung wird das nicht beeindrucken. Westliche und etliche andere Mitgliedsländer des Menschenrechtsrates sind enttäuscht und Menschenrechtsorganisationen empört. Die Rede ist gar von einer «Schande für den Menschenrechtsrat».
Pragmatismus statt Massnahmen
Doch letztlich ist das Ergebnis der Dringlichkeitssitzung ein Ausdruck davon, wie schwer es derzeit in der UNO fällt, engagierte Menschenrechtspolitik zu betreiben. Zu viele, auch mächtige Länder haben daran überhaupt kein Interesse. Westliche Regierungen sprechen sich zwar nach wie vor für die Rechte des Menschen aus, doch eine hohe Priorität geniessen sie auch dort nicht.
Typisch für die Interessenlage im Menschenrechtsrat zeigte sich der chinesische Delegationsleiter. Er sprach zwar tatsächlich von gravierenden Menschenrechtsverletzungen in Afghanistan – er bezog sich aber dabei ausschliesslich auf jene, die westliche Truppen in den vergangenen zwei Jahrzehnten begangen haben.
Wenn es um die Zukunft Afghanistans geht, spielt das Schicksal der Bevölkerung eine geringe Rolle im Kalkül. Es geht um sogenannte Realpolitik. Also um Macht.