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Machtwechsel in Tunesien Saïed verspricht Revolution und steht vor den alten Problemen

Kaïs Saïed hat seinem Volk die Revolution versprochen. Knapp neun Jahre nach dem Aufstand gegen Diktator Ben Ali soll sie endlich stattfinden, sagte der frisch gewählte Präsident.

Die Kinder dieser Revolution haben ihm ins Amt verholfen. Schon im ersten Wahlgang haben die meisten Wählerinnen und Wähler unter 25 Jahren Kaïs Saïed gewählt. In der Stichwahl stimmten gar 90 Prozent von ihnen für den Verfassungsjuristen, der noch nie ein politisches Amt ausgeübt hatte. Vermutlich genau aus diesem Grund.

Das Wahlresultat gibt ihm Gewicht

Die politische Klasse hat sich in den Augen von Tunesiens Jugend diskreditiert. Das Land rutscht seit der Revolution 2011 immer tiefer in die Krise: wirtschaftspolitische Inkompetenz, wuchernde Korruption und endlose politische Grabenkämpfe.

Kaïs Saïed ist deshalb Hoffnungsträger: Sein Wahlresultat mit über 70 Prozent der Stimmen gibt ihm Gewicht. Doch sein politischer Einfluss ist begrenzt. Wirkliche Kompetenzen hat der tunesische Präsident nur in der Aussen- und der Sicherheitspolitik. Sonst ist er auf die Zusammenarbeit mit Regierung und Parlament angewiesen.

Die Islamisten als einzige Konstante

Dort sind die politischen Kräfte nach diesen Wahlen so verzettelt, wie noch nie. Einzige Konstante der politischen Landschaft Tunesiens bleiben die Islamisten der Ennahda. Auch sie haben viel Unterstützung in der Bevölkerung verloren. Aber sie bleiben stärkste Fraktion im Parlament. Darum erhalten sie als erste den Auftrag zur Regierungsbildung.

Ob Ennahda eine Koalition zusammenbringt, ist fraglich: Eine Zusammenarbeit mit der zweitstärksten Fraktion haben die Islamisten ausgeschlossen, der Partei von Präsidentschaftskandidat und Fernsehunternehmer Nabil Karoui.

Heterogenes Bündnis?

Zwei andere Fraktionen scheiden aus, die neu ins Parlament eingezogen sind. Radikale Salafisten sowie die Anhänger des gestürzten Diktators Ben Ali. Sie sind für alle anderen Parteien ein rotes Tuch.

Mit versprengten Resten der früheren Regierungspartei Nidaa Tounès könnte Ennahda zwar eine Regierung zimmern. Falls sich auch die einzige linke Partei von einigem Gewicht auf eine Koalition mit den Islamisten einlässt. Aber stabil wäre dieses heterogene Bündnis kaum.

Wenn die Islamisten an der Regierungsbildung scheitern, kommt nach spätestens zwei Monaten der Staatspräsident zum Zug. Kaïs Saïed müsste zeigen, wie er sein Amt versteht. Der erklärte Antipolitiker könnte beweisen, dass er zwischen den Parteien vermitteln kann.

Politischer Winkelzug geplant?

Oder er nutzt die Chance für einen politischen Winkelzug und präsentiert einen Kandidaten als Regierungschef, von dem er annimmt, dass er im Parlament keine Mehrheit findet.

Dann könnte der Präsident nach weiteren zwei Monaten das Parlament auflösen und neu wählen lassen – ein verfassungskonformer Umsturz, allerdings mit ungewissem Ausgang.

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