In Kuba steht das Ende einer Ära bevor: In knapp zwei Monaten soll der kubanische Staatschef Raúl Castro das Präsidentenamt abgeben, so lautet jedenfalls eine Ankündigung vom letzten Dezember. An der Spitze des Karibikstaates stünde dann zum ersten Mal seit fast sechs Jahrzehnten kein Castro mehr. Kein Fidel und auch kein Raúl. Die Journalistin Sandra Weiss war vor kurzem auf Kuba. Fragen an sie über den Machtwechsel im kommunistischen Staat.
SRF News: Können sich die Menschen in Kuba ein Leben ohne Castros überhaupt vorstellen?
Sandra Weiss: Die meisten Leute kennen Kuba nur mit den Castros. Sechs Jahrzehnte lang hatte niemand anders wirkliche Macht. Zumindest symbolisch ist es also eine grosse Veränderung. Raúl Castro hat angekündigt, dass es niemand aus der alten Revolutionärsriege sein wird, die sind ja mittlerweile alle über 80 Jahre alt. Es wird jemand jüngeres sein, der moderner auftritt und nicht so steif und angestaubt wirkt. Das hat den Vorteil, dass sich die Kubaner eher mit so jemandem identifizieren können. Andererseits hat diese Person die historische Legitimität aus der Revolutionszeit nicht.
Haben Sie eine gewisse Erleichterung gespürt, dass Raúl Castro das Land offiziell nicht mehr kontrolliert?
Viele vermissen Fidel. Raúl ist beim Volk nicht sonderlich beliebt. Er wirkt sehr hölzern und verstockt. Das hat damit zu tun, dass er die Schattenfigur war. Er hat keine charismatische Persönlichkeit und hat die Drecksarbeit gemacht. Er hat, den Repressionsapparat kontrolliert, der im Volk nicht beliebt ist: das Militär und den Geheimdienst. Ihn werden wenige vermissen. Zudem tritt er nicht wirklich ab. Er zieht weiterhin die Fäden im Hintergrund und bleibt Parteichef. Das ist eigentlich der wichtigste Posten in Kuba. Er wird wohl weiterhin über das Erbe der Castros wachen.
Raúl Castro ist beim Volk nicht sonderlich beliebt.
Was haben die Leute für Hoffnungen für die Zeit nach den Castros?
Ich habe versucht, mit den Leuten darüber zu sprechen, aber sie haben immer abgewinkt. Das interessiert sie im Moment überhaupt nicht. Sie können sich gar nicht vorstellen, dass sich etwas ändern wird. Das ist wohl auch eine Strategie der Führung, die keine Hoffnung aufkeimen lässt, dass sich daran was ändern könnte. Im Prinzip ist eher eine Ernüchterung, und eine Verhärtung zu spüren. Während der Zeit Obamas, der ja die bilateralen Beziehungen normalisiert und Kuba sogar besucht hat, keimte grosse Hoffnung auf, dass sich die Dinge ändern würden.
Die Menschen sind damit beschäftigt, über die Runden zu kommen.
Das ist nicht mehr so. Einerseits hat das mit Trump und seinem härteren Kurs zu tun, andererseits sind es auch hausgemachte Probleme: Der Hurrikan Irma hat die Ernte und einen grossen Teil der Tourismusinfrastruktur zerstört. Praktisch alle wirtschaftlichen Ressourcen werden jetzt dafür aufgewendet, die Hotels möglichst schnell wiederaufzubauen. Für die Kubaner macht es das sehr schwierig. Sie haben fast keine Chance, an Zement zu kommen. Auch Früchte und Gemüse sind ein Problem. Insofern sind die Menschen damit beschäftigt, über die Runden zu kommen.
Als Nachfolger von Raúl Castro wird immer wieder der Politiker Miguel Díaz-Canel gehandelt. Wie stehen seine Chancen?
Díaz-Canel ist Vizepräsident und damit der haushohe Favorit. Raúl Castro hat in den letzten Jahren immer mehr Verantwortung an ihn abgegeben. Die Kubanerinnen und Kubaner kennen ihn gut, das letzte Wort ist aber noch nicht gesprochen. Ein kubanischer Präsident muss vom Parlament gewählt werden, es gehen aber alle davon aus, dass es unter der Hand längst abgesprochen ist. Das Parlament wird wohl genauso abstimmen, wie es von oben vorgegeben wird.
Das Parlament wird wohl genauso abstimmen, wie es von oben vorgegeben wird.
Díaz-Canel ist ein sehr treuer Parteisoldat. Er hat in den Provinzen Karriere gemacht und ist sehr beliebt. Ich war in Santa Clara, wo er ein Amt innehatte, das dem eines Gouverneurs gleicht. Die Menschen dort erzählen, dass er kein hochnäsiger Parteifunktionär war und beispielsweise mit dem Fahrrad durch die Gegend gefahren ist, und sich bei den Menschen in den Krankenhäusern und Fabriken nach ihren Problemen erkundigt hat.