Am Ende war es doch weniger knapp als erwartet. Rund 58 Prozent für Emmanuel Macron, das ist ein komfortabler Sieg. Im Umkehrschluss gibt das 42 Prozent für Marine Le Pen, weil die «weissen», leer eingelegten Voten nicht separat ausgewiesen werden. Fast 10 Prozent mehr für die radikale Rechte als 2017, das ist enorm.
Dass offenbar viele Wählerinnen und Wähler von Jean-Luc Mélenchon und anderen unterlegenen Kandidatinnen und Kandidaten die «Kröte» geschluckt und Macron gewählt haben, um Le Pen zu verhindern, kann den Amtsinhaber nicht beruhigen. Zwar war die Aversion gegen Le Pen grösser als die Abneigung gegen Macron. Doch letzterer hat eigentlich zwei von drei Franzosen gegen sich.
Keine einfachere zweite Amtszeit
Daher dürfte Macrons zweite Amtszeit alles andere als ein Spaziergang und wohl noch turbulenter werden als sein von Krisen geprägtes erstes Mandat. Die politische Landschaft ist ein Schlachtfeld. Die traditionellen Parteien der Sozialisten wie der Republikaner liegen in Trümmern, Gewinner sind die Extreme am linken wie rechten Rand.
Macron verfolgt die Strategie «attrape-tout» und versucht, alle Strömungen in einer grossen Mitte-Mehrheitspartei zu vereinen. Das könnte ihm bei den Parlamentswahlen im Juni – sofern er denn nicht dasselbige auflöst und die Wahlen vorzieht – zwar eine komfortable Mehrheit verschaffen. Doch durch das Mehrheitswahlrecht werden derzeit jene Formationen, die Millionen Wähler hatten, mit ein paar wenigen Abgeordneten-Mandaten abgespeist. Da braucht man sich nicht zu wundern, warum sich die Französinnen und Franzosen immer weniger repräsentiert fühlen und zunehmend der Politik und ihren Exponenten den Rücken kehren.
Die extreme Rechte wittert Morgenluft
Vor 20 Jahren kam Jean-Marie Le Pen auf 18 Prozent der Stimmen. Seine Tochter heute auf 42. Das ist eine Entwicklung, die zu denken gibt, zumal ein Éric Zemmour nicht von der Bildfläche zu verschwinden gedenkt und in den Reihen des Rassemblement National die nächste Generation mit Marion Maréchal-Le Pen längst bereitsteht.
Antworten auf diese Radikalisierung zu finden, die auch auf linker Seite stattfindet, muss eine von Emmanuel Macrons Prioritäten sein. Sonst ist 2027 der Weg frei für eine radikale Zeitenwende in Frankreich – mit unabsehbaren Auswirkungen auf ganz Europa.