Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hat einmal mehr alle überrascht. Mit Jean Castex hat er einen Premierminister ernannt, den niemand auf dem Radar hatte. Der breiten Öffentlichkeit ist Jean Castex weitgehend unbekannt – 90 Prozent, wie erste Umfragen sagen. Dabei ist er ein erfahrener Kenner von Frankreichs Machtstrukturen.
Absolvent der Verwaltungsschule ENA, hat Jean Castex dem konservativen Präsidenten Nicolas Sarkozy als stellvertretender Generalsekretär im Elysée gedient, der eigentlichen Machtzentrale in Frankreichs Politik. Die gleiche Funktion hat später unter Sarkozys Nachfolger François Hollande ein gewisser Emmanuel Macron ausgeübt – bevor er zum Finanzminister aufstieg und in die Politik ging.
Jean Castex ist zwar auch Politiker: Stadtpräsident von Prades, einer Kleinstadt mit etwas mehr als 6000 Einwohnern in den Pyrenäen. Ein Mann mit Bodenhaftung, wie viele Leute sagen. Der Neue kennt die Lebensbedingungen und die Sorgen der Menschen auf dem Land. Und damit eine Wirklichkeit in Frankreich, die Präsident Macron eher fremd ist.
Der neue Premier kompensiert ein Defizit, das dem Präsidenten seit Beginn seiner Amtszeit zu schaffen macht: Dass er den Kontakt zu lokalen und regionalen Amtsträgern oft nur schwer findet.
Erneut ein Républicain
Wie sein Vorgänger Edouard Philippe hat Jean Castex Emmanuel Macron im Wahlkampf nicht unterstützt. Beide besitzen das Parteibuch der oppositionellen Républicains. Die Auswahl des neuen Premiers bestätigt, dass Präsident Macron sich seit der Wahl 2017 Jahren von Mitte-links nach Mitte-rechts bewegt.
Vor dem Regierungswechsel hatte der Präsident angekündigt, er wolle seine Umwelt- und die Sozialpolitik neu ausrichten. Der neue Premierminister ist kein Symbol für diese Korrektur.
Das letzte Wort
Die Wahl zeigt dagegen, dass Emmanuel Macron wieder sichtbarer auf der Kommandobrücke stehen will. Premier Castex soll die Politik ausführen, die der Präsident vorgibt. Dafür spricht auch, dass der neue Premier von einem Kabinettschef begleitet wird, der ein enger Vertrauter des Präsidenten ist.
Im Zweifelsfall entscheidet in Frankreich immer der Präsident. Wenn er will, auch gegen den Willen der Regierung. Jean Castex weiss dies. Er hat es bereits in seiner bisher letzten Aufgabe im Staatsdienst erfahren, als er die Regierung beim Ausstieg aus dem Pandemie-Notstand beriet. Am Ende entschied der Präsident, dass der Notstand schneller aufgehoben werde, als die Regierung vorgeschlagen hatte.
Nun soll Castex als loyaler Krisenmanager Frankreichs Regierung bis zu den Präsidentenwahlen in zwei Jahren führen.