«Rind – und Schaffleisch» steht auf dem Schild über dem Geschäft – auf einem Markt im westchinesischen Sichuan. Doch auf dem Boden liegen tote Wildhühner, im Geschäft drinnen finden Marktaufseher zudem ein halbes Wildschwein.
Solche Videos und Berichte über Razzien auf Märkten kursieren in Chinas sozialen und auch offiziellen Medien – denn: der Verzehr von Wildtieren ist in China inzwischen verboten. Das sei richtig, sagt Professor Zhou Zhaomin von der China West Normal University. Zhou forscht unter anderem zum Handel mit Wildtieren.
«Angesichts der Epidemie ist ein solches Verbot nötig. Es zeigt die Entschlossenheit der Regierung im Kampf gegen die Pandemie. Die Gesundheit der Bevölkerung muss geschützt werden.»
Und so haben die chinesischen Behörden nicht nur Marktstände geschlossen, die Wildtiere im Angebot hatten, sondern auch ganze Wildtierfarmen, wo exotische Tiere gezüchtet werden: von Pfauen bis zu Füchsen.
«Inzwischen hat die Regierung einen Gesetzesentwurf ausgearbeitet mit einer Liste von Tieren, die für die Fleischproduktion genutzt werden dürfen. Darunter Nutztiere wie Schweine, Rinder oder Hühner – aber auch Rehe und Strausse.
Exotische Tiere wie Fledermäuse oder Schuppentiere fehlen dagegen auf der Liste. Es fehlen übrigens auch Hunde, die – wenn der Entwurf so verabschiedet wird – nicht mehr gegessen werden dürfen.
Angst vor illegalem Handel
Noch sei es zu jedoch früh, um die genauen Auswirkungen der Verbote abzuschätzen, sagt Professor Zhou.
«Die Wildtier-Industrie wird wahrscheinlich deswegen nicht verschwinden. Zumindest jene Bereiche, die nichts mit Nahrungsmitteln zu tun haben. Wie zum Beispiel die Zucht für die Forschung.»
Von einem raschen und kompletten Verbot hält Professor Zhou nichts, weil die Gefahr bestünde, dass der Handel in den Untergrund gehe.
So ist etwa die chinesische Medizin vom aktuellen Verbot nicht direkt betroffen – zum Beispiel darf die Bärengalle weiter genutzt werden. Auch Meerestiere sind vom derzeitigen Verbot ausgenommen.
Aili Kang, China-Chefin der US-amerikanischen Wildlife Conservation Society (WCS), ist dennoch optimistisch. Auch sie weist auf die Schlupflöcher hin. Neben der traditionellen chinesischen Medizin gehört auch die Pelz- und Lederindustrie dazu. Die Verbote gingen trotzdem in die richtige Richtung, sagt sie.
So durfte das Schuppentier bisher nicht gejagt, jedoch gezüchtet werden. In der Praxis sei da oft nicht unterschieden worden, sagt Aili Kang. Für den Konsumenten ist es meistens auch nicht ersichtlich, woher das Tier genau stammt.
Gegen die strengeren Bestimmungen gibt es auch Widerstand. Zum Beispiel von jenen Farmen, die mit der Wildtierzucht Geld verdienen würden. So fürchten etwa die Züchter von Bambusratten um ihr Geschäftsmodell. Die Nager fehlen nämlich auf der provisorischen Liste der Tiere, die zukünftig noch verzehrt werden dürfen.
Sowohl die Regierung als auch die Mehrheit der Chinesinnen und Chinesen seien gegen den Verzehr von Wildtieren, sagt Aili Kang. Chinas Behörden haben also Grund zum Handeln.
Nochmals Professor Zhou: «Der genaue Ursprung der Epidemie ist zwar noch nicht bestätigt, aber die allermeisten Indizien weisen auf Wildtiere hin. Und selbst wenn nicht, muss die chinesische Wildtier-Industrie auch ganz unabhängig davon besser reguliert werden.»
Die Berichte zum Handel mit Wildtieren, die Bilder dazu von den Tiermärkten in chinesischen Städten: Sie werfen einen Fokus darauf, wie gross die Unterschiede im Vergleich zum Westen erscheinen. Doch inwiefern ist das Verständnis vom Tier in China anders? Dazu ein paar Fragen an China-Korrespondent Martin Aldrovandi.
SRF NEWS: Chinesische Tiermärkte sind für uns eher verstörend: Enge Käfige, das öffentliche Schlachten. Sind wir uns solche Anblicke einfach nicht gewohnt oder ist das Verhältnis zu Tieren wirklich so anders?
Martin Aldrovandi: Beides stimmt wahrscheinlich. Sie sehen in China viele lebendige Tiere auf den Märkten, weil das die Leute auch als Beweis dafür nehmen, dass das Tier frisch ist. Aus dem gleichen Grund wurden die Tiere dann auch direkt vor dem Kunden auf dem Markt getötet – was vielerorts inzwischen aber verboten ist.
Hier sehen die Chinesen einfach unmittelbarer das, was wir nicht mehr sehen können oder sehen wollen. Da gibt es eine gewisse Doppelmoral auf westlicher Seite.
Was aber die Beziehung zum Tierrecht oder zum Nutztier angeht – da fehlt bei vielen tatsächlich das Verständnis für Fragen des Tierwohls. Wie es dem Tier geht, was es fühlt, wieso Fleisch nicht nur billig sein kann – das spielt oft keine Rolle.
Tiere sind also eine reine Handelsware, eine Sache?
Für viele sicher schon. Es gibt keine Vorschriften zur Haltung von Tieren. Es gibt auch keine nationalen Gesetze zur Tierquälerei. Nach dem Ausbruch des Coronavirus gab es sogar noch mehr Berichte von Menschen, die ihre Tiere einfach ausgesetzt oder getötet haben – weil sie Angst hatten, dass diese das Virus weiterverbreiten würden.
Bei den Nutztieren ist in der Regel die Beziehung zu den Tieren ja noch geringer. Was erlebt man für Zustände auf Geflügel- oder Schweinefarmen?
Es gibt auch in China Biobetriebe mit anständiger Haltung. Aber mit den wenigen Vorschriften kann man sich vorstellen, wie es in grossen Mastanlagen aussieht. Da gibt es auch immer wieder die Klage über einen zu grossen Einsatz von Antibiotika, weil die Tiere so eng aufeinander sind.
Ein anderes, sehr traditionelles Bild sieht man weit draussen auf dem Land: Tiere, die sich frei bewegen, sich selbst überlassen sind. Kühe und Hühner auf der Strasse, das Schwein hinter dem Haus. Ein Bild wie bei uns vor hundert Jahren. Diesen Tieren geht es wahrscheinlich besser als jenen in den grossen Mastanlagen.
Woher kommt dieses distanzierte Verhalten gegenüber Tieren?
Ich glaube, das hat vor allem mit der rasanten Entwicklung in China seit der wirtschaftlichen Öffnung vor rund vierzig Jahren zu tun. Alles geht wahnsinnig schnell und der Mensch schaute zuerst auf sich selbst. Er wollte genug zu essen, mehr Geld, eine höhere Bildung für die Kinder.
Da lag das Tierwohl natürlich nicht an erster Stelle. Vor allem in urbanen Regionen gibt es aber immer mehr Menschen, die nicht nur ein Haustier halten, sondern sich auch um Tierrechte kümmern; so gibt es in China inzwischen unzählige Tierschutzorganisationen.
Das Gespräch führte Marlen Oehler.