In nur einem Jahr entdeckten Historiker Belege für 250 Orte, an denen sechs oder mehr Menschen auf einmal umgebracht wurden. 6200 der Opfer waren Aborigines, weniger als 100 der Toten weisse Siedler, teilten die Forscher von der australischen Universität Newcastle mit.
Massaker an Aborigines wurden in der Regel von Jagdgruppen aus Soldaten, bewaffneten Siedlern oder berittenen Polizisten mit jeweils sechs bis 40 Männern durchgeführt. Die Täter kamen mit Schwertern, Pistolen, Bajonetten oder Gift. Die Aborigines hatten als Waffen nur Speere und Beile.
Die Massaker waren sehr weit verbreitet und es gab mehr von ihnen, als ich mir je vorgestellt hatte.
Es ist das nach eigenen Angaben erste gross angelegte australische Forschungsprojekt, das die Besiedlung des Kontinents im 18. und 19. Jahrhundert unter dem Gesichtspunkt von Kriegsverbrechen dokumentiert und als Karte aufbereitet. Die Vorfälle von 1788 bis in die 1930er Jahren sind mitsamt Quellen zugänglich.
Überwältigende Faktenlage
Selbst unter strengsten Ansprüchen an die Beweislage gebe es vermutlich noch einmal genauso viele weitere Tatorte, sagte Lyndall Ryan, Geschichtsprofessorin und Leiterin des Kartographieprojekts «Colonial Frontier Massacres Map». Ihr eigene anfängliche Skepsis gegenüber Berichten von Massakern sei der überwältigenden Faktenlage gewichen.
«Den meisten Australiern wurde beigebracht, dass die Besiedlung Australiens grösstenteils friedlich war», sagte Ryan. «Aber die Geschichte ist komplizierter, die Massaker waren sehr weit verbreitet und es gab mehr von ihnen, als ich mir je vorgestellt hatte.»
Ryan sagt, dass die Reaktionen der australischen Öffentlichkeit seit dem Start des Forschungsprojekts überwältigend gewesen sind. «Die Menschen haben dem Forschungsteam grosszügig angeboten, weitere Daten und Informationen über Vorfälle zu bestätigen, die noch nicht auf der Karte verzeichnet waren». Das hohe Mass an Interesse und Engagement zeige, dass die Menschen in den Regionen wirklich wissen wollen, was passiert ist.
Geschichte kaum aufgearbeitet
Bei der Ankunft der Europäer lebten die Aborigines schon seit wenigstens 40.000 Jahren in Australien. Doch erst 1993, mehr als 200 Jahre nach Ankunft der Briten in Australien, wurden die Ureinwohner des fünften Kontinents offiziell als ursprüngliche Bewohner anerkannt.
-
Bild 1 von 12. Die Aborigines sind kein einheitliches Volk. Sie leben in Stämmen und Clans mit unterschiedlichen Kulturen. Bildquelle: Keystone.
-
Bild 2 von 12. Erst 1993, mehr als 200 Jahre nach Ankunft der Briten in Australien, wurden die Ureinwohner des fünften Kontinents offiziell als ursprüngliche Bewohner anerkannt. Bildquelle: Keystone.
-
Bild 3 von 12. 1788 kamen die Briten, tauften den Uluru um in Ayers Rock und kletterten hinauf. 2015 wurde der Berg offiziell den Aborigines zurückgegeben. Ab Oktober 2019 tritt ein Kletterverbot in Kraft. Bildquelle: Keystone.
-
Bild 4 von 12. Armut, Alkoholismus, Drogen und Gewalt spielen eine dominierende Rolle bei vielen Aborigines. Anthropologen deuten dies als Folge des Kolonialismus. Bildquelle: Keystone.
-
Bild 5 von 12. In allen wichtigen Statistiken liegen die Aborigines weit unter den Werten der Weissen. Die Arbeitslosenquote ist dreimal höher und die Lebenserwartung liegt zehn Jahre unter dem Durchschnitt. Bildquelle: Keystone.
-
Bild 6 von 12. Immer wieder kommt es zu Protesten für die Gleichstellung der Aborigines wie hier 2015 in Melbourne. Das Gesetz zur Aufhebung der Rassendiskriminierung wurde bereits 1975 verabschiedet. Bildquelle: Keystone.
-
Bild 7 von 12. Aborigines leben seit über 60'000 Jahren in Australien und pflegen die älteste Kultur der Welt. 1788 kamen die Briten und damit begann das düstere Kapitel Australiens. Bildquelle: Keystone.
-
Bild 8 von 12. Aboriginies litten an eingeschleppten Krankheiten. Für die Siedler waren die Ureinwohner nicht mehr wert als Tiere. Sie vergewaltigten Frauen, töteten Männer und nahmen ihr Land. Bildquelle: Keystone.
-
Bild 9 von 12. Bei der Ankunft der ersten britischen Siedler im Jahr 1788 lebten in Australien etwa eine Million Aborigines. Heute beträgt ihre Zahl nur noch rund 600'000. Bildquelle: Keystone.
-
Bild 10 von 12. Seit 1964 dürfen Aborigines Immobilien besitzen. Den meisten fehlt aber das Geld dazu. Über die Hälfte lebt in Städten, häufig in Slums. Bildquelle: Keystone.
-
Bild 11 von 12. Ein Viertel der Aborigines lebt in Siedlungen auf dem Land in selbst verwalteten Reservaten unter schwierigen Bedingungen. Die Menschen auf dem Bild leben bei Alice Springs ohne fliessendes Wasser und Strom. Bildquelle: Keystone.
-
Bild 12 von 12. 2008 entschuldigte sich der damalige Premierministers Kevin Rudd erstmals offiziell für das Leid, das den Aborigines zugefügt wurde. Seit dieser viel beachteten «Sorry»-Rede sehen viele erste, leichte Verbesserungen in der Lage der Aborigines. Bildquelle: Keystone.
Der Staat hat die Geschichte der sogenannten Grenzkriege zwischen Siedlern und Ureinwohnern bislang kaum aufgearbeitet. Seit einigen Jahren steigt aber das Bewusstsein für das Unrecht, das Aborigines durch europäische Neuankömmlinge widerfahren ist.
Keine Perspektive
Viele Probleme sind aber immer noch ungelöst: Im Vergleich zu der Gesamtbevölkerung Australiens gehören die Ureinwohner zum ärmsten Teil der australischen Gesellschaft. Die Arbeitslosenquote der Aborigines ist mit 20 Prozent fast dreimal so hoch wie die der Durchschnittsbevölkerung. Sie haben eine geringere Bildung und ihre Lebenserwartung liegt im Durchschnitt zehn Jahre unter jener der weissen Bevölkerung.
Erklärt werden diese Unterschiede mit dem Verlust funktionierender sozialer Strukturen durch die Assimilationspolitik sowie dem generellen Mangel an Arbeit und Krankenversorgung in den ländlichen Gebieten.