Mohammed bin Salman wurde gefeiert als mutiger Erneuerer seiner ultrakonservativen Ölmonarchie. Doch Jamal Khashoggi, der intime Kenner Saudi-Arabiens und schärfste Kritiker des Kronprinzen, warnte in seinen Kolumnen vor Menschenrechtsverletzungen, wachsendem Nationalismus und Skrupellosigkeit an der Staatsspitze.
Wurde er selbst deren Opfer? Gar im direkten Auftrag des Kronprinzen? Der Vorwurf hält sich hartnäckig, seit Khashoggi vor einem Jahr im Konsulat in Istanbul die Unterlagen für seine bevorstehende Heirat abholen wollte. Und nie mehr wiedergesehen wurde.
So leicht wird der Kronprinz das Image des skrupellosen Draufgängers wohl nicht mehr los. Bin Salman, der sich in aussenpolitische Abenteuer und Strafaktionen stürzt ohne die Konsequenzen zu bedenken. Und buchstäblich über Leichen geht. Seine Politik wurde nach dem Mord an Khashoggi plötzlich viel kritischer betrachtet.
Die saudische Militärintervention in Jemen ist im fünften Jahr. Saudi-Arabien scheint ohne Strategie festzustecken. Das mausarme Nachbarland ist am Rand der Hungersnot. Gegen den unbotmässigen Emir von Qatar verhängten die Saudis ein umfassendes Embargo, im vergeblichen Versuch, diesen auf Linie zu bringen. In der Rivalität mit Iran fordern sie eine harte Linie, ohne selbst die militärischen Mittel dazu zu haben.
Zu bin Salmans Gegenspieler avancierte in der Affäre Khashoggi der türkische Präsident Erdogan. «Aus türkischer Sicht war der Mord nicht nur ein extrem brutales Verbrechen, das alle schockierte», sagt die Türkei-Expertin Asli Aydintasbas in Istanbul.
«Es geschah auf türkischem Boden, was Ankara als Beleidigung aufnahm. Dass Erdogan nichts unversucht liess, um die Weltöffentlichkeit von der Verantwortung des saudischen Kronprinzen am Mord zu überzeugen, hat mit diametral entgegengesetzten Vorstellungen zu tun», sagt Aydintasbas.
Khashoggi stand in dieser grossen regionalstrategischen Frage auf Erdogans Seite. Das bestärkte dessen Entschlossenheit, mit einem Fluss von Indiskretionen den Skandal publik zu machen. Wer immer den Auftrag gab: Dass man im saudischen Apparat glaubte, Khashoggi ausgerechnet in der Türkei umbringen zu können und damit davonzukommen, erscheint im Nachhinein umso bizarrer.
«Khashoggi stand der Eilte um Erdogan sehr nahe», sagt die Politbeobachterin. Die Ermordung eines solchen Freundes konnte Erdogan unmöglich wegstecken. Al Jazeera, der Sender des reichen Golfemirats Katar, half ihm nach Kräften.
Und ein Jahr danach? Saudi-Arabien hat angekündigt, es werde sein Königreich für westliche Touristen öffnen. Im Interview zeigte sich bin Salman nach den Angriffen auf das Zentrum der saudischen Ölindustrie in der Opferrolle, versuchte die Weltöffentlichkeit auf seine Seite zu ziehen:
Ein Schatten wird bleiben wird über dem Image des angeblich so mutigen Reformers. Insgesamt aber stehen die Zeichen eher wieder auf Normalisierung, glaubt Aydintasbas.
US-Präsident Donald Trump hat klargemacht: Was immer die Saudis getan haben, er werde es ignorieren. Zu wichtig sind ihm die strategischen Beziehungen zum Königshaus und das Waffengeschäft.
Und die Türkei hat kaum eine andere Wahl, als sich in diese globale Realpolitik zu schicken, so Aydintasbas: «Wenn die strategischen Kräfteverhältnisse in der Welt anders wären, wäre die Türkei sehr glücklich. Erdogan hat eingesehen, dass das nicht der Fall ist.»