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IS-Logo und Twitter-Symbol vor Laptop.
Legende: Der allgegenwärtige Terror des IS verleitet zu Kurzschlüssen – auch Journalisten sind nicht gefeit davor. Reuters

International «Medien dürfen den Narzissmus der Attentäter nicht befeuern»

Terroranschläge und Amokläufe sind heute auch Medienspektakel: In Echtzeit nehmen Leser und Zuschauer am Grauen teil. Damit Journalisten nicht zu Erfüllungsgehilfen der Täter werden, braucht es ein neues Bewusstsein in der Berichterstattung, fordert Heribert Prantl von der «Süddeutschen Zeitung».

SRF News: Das heutige Titelbild ihrer Zeitung zeigt trauernde Menschen in München: Für was für eine Leserschaft haben Sie die Zeitung heute gemacht?

Heribert Prantl: Für eine Leserschaft, die aufgewühlt ist von den Ereignissen und Angst hat. Für eine Leserschaft, die sich fragt: Wie geht es weiter, was ist zu tun, was passiert da gerade? Aufgabe verantwortungsbewusster Medien ist es in so einer Zeit, klar und deutlich zu informieren statt Ängste zu schüren. Spekulationen sind ebenfalls unangebracht. Was in der Tatnacht von München passiert ist, war sonderbar – um es zurückhaltend zu formulieren. Es hat sich in diesen Tagen gezeigt, dass das Internet eine ‹Angstschürmaschinerie› ist.

Wenn man keine Informationen hat, muss man das auch so sagen.

Welche konkreten Diskussionen hat Ihre Redaktion heute und in den vergangenen Tagen geführt, um dem entgegen zu wirken?

Heribert Prantl

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Porträt Heribert Prantl

Der deutsche Jurist, Journalist und Autor leitet seit 1995 das Ressort Innenpolitik bei der «Süddeutschen Zeitung» in München. Seit 2011 ist er Mitglied der Chefredaktion des Blattes.

Natürlich geht es um die Frage, wann man welche Gerüchte weitergibt. Wenn etwa in der Tatnacht von München plötzlich ein Video auftaucht – stellen wir das online, auch wenn wir nicht genau wissen, woher es stammt? Hier halten wir uns zurück. Viele Menschen fürchten sich unmittelbar nach derartigen Taten, dass es sich um einen IS-Anschlag handelt. Man muss sich hier vor Spekulationen hüten. Analysen brauchen schlicht mehr Zeit; wenn man keine Informationen hat, muss man das auch so sagen und nicht zur Unzeit ins Feuer blasen.

Auch in Ihrer Zeitung diskutieren Sie den Umgang mit den Tätern, die unter Umständen das Rampenlicht suchen und auch bekommen: Wie sollten die Medien Ihrer Meinung nach mit Amoktaten umgehen, welche Verantwortung haben die Medien?

Bei aller Vorsicht, die man walten lassen muss, sieht es so aus, dass die Attentäter von Würzburg, München und Reutlingen psychisch kranke Menschen waren. Das legt den Medien noch einmal eine besondere Verantwortung auf. Man muss sich bewusst sein, dass Nachahmungstaten sehr leicht provoziert werden können. Das betrifft nicht nur das Internet, sondern auch eine sehr intensive Berichterstattung der Medien. Die Lösung kann natürlich nicht sein, nicht zu berichten.

Man muss aber so zurückhaltend sein, wie es nur geht. Man sollte den Narzissmus von psychisch gestörten Tätern nicht dadurch entgegen kommen, dass man Bilder von ihnen veröffentlicht. Wenn jemand glaubt, sich mit einer solchen Tat seinen finalen Nachruhm sichern zu können, müssen wir mit Persönlichkeitsinformationen und Bildern zurückhaltend umgehen.

In Würzburg ging ein junger afghanischer Flüchtling mit einer Axt auf Menschen los, in München tötete ein Deutscher mit iranischen Wurzeln, in Ansbach zündete ein abgewiesener syrischer Flüchtling eine Bombe: Nun wird bereits Kritik laut an der deutschen Willkommenskultur – was heisst das für die Politik in Ihrem Land?

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Die Politik der massgebenden Parteien war und ist einigermassen zurückhaltend. Es gab geisselnde Stellungnahmen, aber diese waren falsch und stammten von den Rechtspopulisten der AfD. Noch bevor Erkenntnisse der Polizei öffentlich wurden, sprachen sie von einer Quittung für die Willkommenskultur – hier sehe man nun, was man von den «Teddybären», den Flüchtlingen, habe.

Für gefährlicher als diese schnellen und unverschämten Reaktionen halte ich aber die Verunsicherung, die bei Flüchtlingshelfern nach dem Axt-Attentat von Würzburg eingetreten ist. Der jugendliche Täter war in einer Pflegefamilie untergebracht und relativ gut betreut. In der Szene fragt man sich, ob die Hilfe umsonst ist. Es ist wichtig diesen Menschen zu sagen, dass freiwillige Hilfe Attentate nicht ausschliessen kann. Aber es wäre fatal, wenn diese Hilfe völlig wegfiele.

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