Darum geht es: Im laufenden Jahr sind schon mehr als 8400 Flüchtlinge und Migranten, meist in Schlauchbooten, über den Ärmelkanal von Frankreich nach Grossbritannien gelangt. Das sind mehr als im gesamten letzten Jahr. Laut dem britischen Innenministerium versuchten allein am vergangenen Mittwoch 482 Personen, auf diesem Weg nach Grossbritannien zu gelangen – neuer Tagesrekord. Als Reaktion auf die Zunahme dieser illegalen Einwanderung will die Regierung von Premierminister Boris Johnson das Asylrecht verschärfen.
Das sieht das Gesetz vor: Asylsuchende, die über illegale Routen nach Grossbritannien gelangen, sollen langfristig weniger Rechte haben, kündigte Innenministerin Priti Patel an. Auch drohen ihnen eine Gefängnisstrafe von bis zu vier Jahren, weniger Sozialleistungen oder kein Recht auf Familiennachzug, wie der in London lebende Journalist Peter Stäuber sagt. In Diskussion sei sogar der Vorschlag, dass Asylsuchende in Camps im Ausland auf den Entscheid warten sollen – ähnlich wie Dänemark das plant. «Es soll schwieriger werden, in Grossbritannien Asyl zu bekommen», fasst der Journalist zusammen.
Es geht vor allem um symbolische Regierungspolitik. Von einer Flüchtlingskrise kann keine Rede sein.
Darum die Verschärfung: Die britische Regierung versucht seit Jahren, die Einwanderung ins Land zu beschränken. «Jetzt zielt die Innenministerin aufs Asylsystem», so Stäuber. Dabei gehe es vor allem um ein Signal an die Wählerinnen und Wähler. «Man will eine gewisse Härte demonstrieren.» Das wiederum habe auch mit dem Brexit-Votum von 2016 zu tun. Schliesslich war die starke Einwanderung – damals vor allem jene aus anderen europäischen Ländern – ein Hauptargument der siegreichen EU-Ausstiegsbefürworter. «Man will jetzt zeigen, dass man das Brexit-Votum ernst nimmt und alles unternimmt, um die Grenzen zu kontrollieren», sagt Stäuber.
Das sagen Experten: Die geplanten Gesetzesverschärfungen dürften in den Augen von Migrations- und Flüchtlingsexperten kaum die erwünschte abschreckende Wirkung haben. Allein deswegen werden kaum weniger Menschen nach Grossbritannien kommen. «Doch das Gesetz würde mehr Bürokratie und massiv höhere Kosten verursachen», ist Stäuber überzeugt. Denn es komme den Staat viel teurer, Menschen ins Gefängnis zu stecken, als sie mit Sozialhilfe zu unterstützen.
So reagieren NGOs und die Bevölkerung: Empörung lösen die Pläne bei Menschenrechts- und Flüchtlingskampagnen aus. Sie bezeichneten die Vorschläge als «kaltherzig» und «brutal». Auch das UNO-Hochkommissariat für Flüchtlinge zeigte sich enttäuscht. Das Recht auf Asyl sei universell, es komme nicht darauf an, wie man als Flüchtling ins Land komme, so die Argumentation. Zudem zeigen Umfragen, dass die Mehrheit der Britinnen und Briten verfolgten Menschen Schutz bieten will. «Es gibt viel Widerstand gegen die Gesetzespläne», bilanziert Stäuber.
So gross ist das Asylproblem: «Die Rhetorik der Regierung geht ein bisschen an der Realität vorbei», sagt der Journalist. So kämen deutlich weniger Flüchtlinge und Migrantinnen nach Grossbritannien als in andere europäische Länder. Zwar sei die Zahl der Bootsflüchtlinge, die über den Ärmelkanal gekommen sei, letztes Jahr angestiegen. Doch insgesamt sank die Zahl der Asylanträge in Grossbritannien um fast einen Fünftel. «Es geht also vor allem um symbolische Regierungspolitik. Von einer Flüchtlingskrise kann keine Rede sein», sagt Stäuber.