Die Nato ist zwar für eine Militärallianz recht transparent. Doch es gibt Dinge, über die darf man offiziell nicht sprechen. Etwa darüber, dass das mächtigste Militärbündnis der Welt zurzeit nicht wirklich in der Lage wäre, seine drei baltischen Mitgliedstaaten zu verteidigen, wenn sie denn von Russland angegriffen würden. Die Bündnisgarantie «einer für alle, alle für einen» ist, wenn es um das Baltikum geht, Fiktion.
Zwar hat die Nato erstmals sogenannte Kampfgruppen in Estland, Lettland, Litauen und Polen stationiert. Seit Anfang Jahr. Und je tausend Mann. Bloss: Mehr als ein Stolperdraht wären sie nicht, falls Moskaus Armee in die Ex-Sowjetrepubliken einmarschierte.
Eine grosse Aufstockung der Nato-Kontingente vor Ort kommt nicht infrage. Der Kreml würde das verständlicherweise als Provokation auffassen und seinerseits zusätzliche Streitkräfte positionieren.
Die Alternative zu einer grösseren Dauerpräsenz an der Ostgrenze: Imstande sein, sehr rasch in grossem Umfang Verstärkung dorthin zu entsenden. Momentan wäre die Nato damit überfordert.
Umfangreiche Nato-Manöver in Rumänien und Bulgarien zeigten die Schwäche des Bündnisses auf. Zu viel Bürokratie, zu karge Infrastruktur, zu beschränkte logistische Mittel. Russland hingegen bewies mit seinem Grossmanöver Zapad, dass es nach Jahren der Schwäche militärisch enorme Fortschritte gemacht hat. Nicht nur zahlenmässig, sondern ebenso punkto Einsatzbereitschaft, Vernetzung, Flexibilität und Tempo. Im Nato-Hauptquartier war man beeindruckt. Und schockiert.
Die Verteidigungs-Budget werden aufgestockt
Deshalb ist jetzt Schluss mit der Friedensdividende und der Abrüstung seit dem Ende des Kalten Krieges. Die meisten Nato-Ländern fahren ihre Wehretats wieder hoch. Die Verteidigungsminister der Mitgliedstaaten haben die Schaffung von zwei neuen, grossen Kommandozentren beschlossen. Eines davon soll die Nachschubwege über den Atlantik sichern. Konkret: Dafür sorgen, dass US-Soldaten, -Waffen und -Ausrüstung schneller und sicher nach Europa gelangen. Das zweite, das vermutlich in Deutschland entsteht, soll eine rasche Truppenverschiebung innerhalb Europas ermöglichen, will heissen: Kampfkraft von West nach Ost bringen.
Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg nennt die neuen Zentren das Rückgrat der Allianz. Am Nato-Sitz in Brüssel findet man also, es habe in den letzten Jahren an Rückgrat gefehlt.
Das Misstrauen zwischen Ost und West ist mittlerweile wieder derart gross, dass jeder Schritt der einen Seite die andere quasi nötigt, ihrerseits zu handeln. Man schaukelt sich also militärisch gegenseitig hoch. Von einem neuen Kalten Krieg wird zwar nicht geredet - auch das ist ein Tabu. Doch was im Feld passiert, erinnert immer mehr daran.