SRF News: Kremlchef Wladimir Putin erwartet Bundeskanzlerin Angela Merkel heute in seiner Residenz im südrussischen Ferienort Sotschi am Schwarzen Meer. Gibt es ein Anzeichen dafür, dass Putin der deutschen Kanzlerin in zentralen offenen Fragen entgegenkommt?
David Nauer: Solche Anzeichen sehe ich nicht. Russland fühlt sich zurzeit in einer Position der Stärke. In der Regierungszeitung «Rossiyskaya Gazeta» erschien kürzlich ein Artikel mit der Hauptaussage, nun müsse Merkel auf Russland zukommen und nicht umgekehrt.
Was verspricht sich Putin vom Treffen mit Merkel?
Er erhofft sich wohl keine konkreten Resultate. Das Treffen hat aber eine hohe symbolische Bedeutung. Denn Russland ist nach der Krim-Annexion ziemlich isoliert. Der Besuch von Merkel ist die erste offizielle Reise der Kanzlerin nach Russland seit dem Ausbruch der Ukraine-Krise. Das ist aus russischer Sicht ein Signal im Sinn von: Wir sind wieder wer, man kommt wieder zu uns und redet wieder mit uns.
Die Hoffnungen Russlands, US-Präsident Trump werde zum mächtigen neuen Freund, haben sich relativiert. Zwingt das Putin wieder verstärkt in Richtung EU?
Der amerikanische Faktor spielt sicher eine wichtige Rolle, dachten die Russen doch eine Weile, mit Trump werde alles besser. In Moskau spürt man nun aber eine gewisse Verunsicherung. Man weiss nicht, was von Trump zu erwarten ist. Vor diesem Hintergrund setzen die Russen nun anscheinend auf Merkel, sie könnte eine Art Vermittlerrolle zwischen Moskau und Washington übernehmen. Diese Vermutung äussern zumindest russische Experten.
Ist Putin überhaupt an einer Normalisierung des Verhältnisses mit der EU interessiert?
Ich denke schon, dass Russland ein geordnetes Verhältnis zu Europa und den USA haben möchte. Zugleich wird wohl Russland aber ein solches Tauwetter nur dann anstreben, wenn es seine Forderungen durchsetzen kann, sei es in der Ukraine oder in Syrien. Das macht diese Verhandlungen denn auch so schwierig, weil der Westen auch auf seinen Standpunkten beharrt. Die Interessenlagen Russlands und des Westens sind nun einmal sehr unterschiedlich.
Das Gespräch führte Salvador Atasoy.