Nach dem Angriff auf Salman Rushdie, bei dem der Autor verletzt wurde, musste der Tatverdächtige am Samstag erstmals vor Gericht erscheinen. Er sitzt in Untersuchungshaft, ermittelt wird wegen versuchten Mordes zweites Grades und Körperverletzung zweiten Grades. Der 24-Jährige plädiert auf nicht schuldig. Was man über den Tatverdächtigen und seine Beweggründe weiss und was es mit der Fatwa auf sich hat.
Wer ist der verhaftete Tatverdächtige? Die Polizei gab bekannt, er habe in Fairview, New Jersey, gewohnt. Das ist gut sechs Fahrstunden vom Tatort in der Stadt Chautauqua im Osten New Yorks entfernt. Geboren wurde der Mann in Kalifornien, seine Eltern stammen gemäss der Nachrichtenagentur AP aus dem Libanon. Über Ausbildung oder Jobs ist nichts bekannt.
Was weiss man über sein mögliches Motiv? Von offizieller Seite gibt es keine Angaben, auch sein Anwalt äusserte sich nicht dazu. Medien und Beobachter haben erste Hinweise gefunden. So zeigen Social-Media-Konten, die dem Mann zugeordnet werden, mehrere Fotos von Exponenten des iranischen Regimes. Zudem wurde ein gefälschter Führerschein sichergestellt. Dieser läuft ausgerechnet auf den Namen eines ehemaligen Kommandanten der Hisbollah, einer Terrororganisation in Libanon, die von Iran unterstützt wird.
Was bedeutet diese Spur? Auch wenn noch nicht bestätigt, so ergibt sich doch das Bild eines scheinbar glühenden Anhängers der iranischen Revolutionsgarden – diese bilden im Iran vereinfacht gesagt die Hardliner-Front, haben grossen Einfluss, sowohl wirtschaftlich, politisch wie militärisch. Ohne den Eltern eine Mitschuld unterstellen zu wollen, ist deshalb auch der Migrationshintergrund des Mannes relevant: im Südlibanon hat die erwähnte Hisbollah das Sagen.
Ist der Verdächtige mit der Hisbollah oder dem iranischen Regime verbunden? Ein Vertreter der Hisbollah sagte der Agentur Reuters am Samstag, man habe keine zusätzlichen Angaben zum Mann. Der Bürgermeister der Herkunftsstadt der Familie sagte, er habe keine Informationen über die politische Einstellung der Eltern oder des Verdächtigen. Aus der iranischen Führung ist bislang keine offizielle Stellungnahme erfolgt. Iranische Zeitungen feierten die Tat aber und beglückwünschten den Tatverdächtigen, wie AP berichtete. Ein direkter Draht ist bisher also nicht bekannt.
Handelte der Mann allein oder im Auftrag? Zur Tat ist er offensichtlich allein geschritten, das belegen Bilder und Zeugenaussagen. Ob und wie weit er in ein Umfeld eingebunden war, das seine Tatabsicht bestärkt oder geduldet hätte, ist derzeit einer der Untersuchungsgegenstände der Polizei. Das bisher öffentlich bekannte Profil eines Sympathisanten oder Anhängers der iranischen Revolutionsgarde deutet aber darauf hin, dass er sich selber wohl als eine Art Soldat Irans gesehen haben könnte, beeinflusst durch extremistische Propaganda. In diesem Kontext dürfte damit auch die Fatwa gegen Salman Rushdie eine Rolle gespielt haben.
Was hat es mit dieser Fatwa gegen Salman Rushdie auf sich? Das damalige religiöse und politische Oberhaupt Irans, Ayatollah Ruholla Khomeini – ein Foto von ihm brauchte der Verdächtige als Profilbild – erliess diese Fatwa, eine Art islamisches Rechtsgutachten, im Jahr 1989. Ein Jahr zuvor hatte Salman Rushdie sein Buch «Die satanischen Verse» publiziert. Darin werde der Islam, Allah und sein Prophet Mohammed beleidigt, befand Khomeini. Deshalb solle Rushdie getötet werden sowie all jene, die zur Verbreitung des Buches beitragen würden.
Was ist nach Erlass der Fatwa passiert? Salman Rushdie musste untertauchen und jahrelang unter Polizeischutz leben. Tatsächlich getötet wurde ein japanischer Übersetzer des Buches, andere Übersetzer wurden angegriffen und verletzt. Rushdie liess sich nicht zum Schweigen bringen und veröffentliche seither etliche Bücher, 2019 «Quichotte». Zuletzt sah sich Rushdie nicht mehr akut gefährdet.
Hat die Fatwa heute überhaupt noch Gültigkeit? Mit dem Tod von Khomeini glaubten viele, dass sich die Sache erledigt habe. Allerdings wurde sein Nachfolger, Ayatollah Ali Khamenei etwa 2017 darauf angesprochen – und bestätigte die Fatwa. Auf dem englischsprachigen Twitter-Konto «Khamenei_ir», das offenbar vom iranischen Regime betrieben wird, wird die Gültigkeit der Fatwa ebenfalls bestätigt. Der entsprechende Tweet ist nach einer kurzzeitigen Sperre des Kontos damals nicht mehr verfügbar, es existieren aber mehrere Screenshots und ein Bericht der AP dazu.
Wurde auch ein Kopfgeld auf Salman Rushdie ausgesetzt? Ja, ursprünglich belief es sich auf eine Million US-Dollar und wurde auf über drei Millionen erhöht. Dahinter steht nicht der Staat Iran direkt, sondern eine private Stiftung, die gemäss Beobachtern vom Staat alimentiert wird. Dabei dürfte es sich aber mehr um Propaganda handeln, mit der die Handlungen der USA gespiegelt werden sollen, im Sinne von «wenn ihr für Hinweise auf Terroristen Geld aussetzt, können wir das auch».
Könnte der Tatverdächtige des Geldes wegen gehandelt haben? Das scheint derzeit eher unwahrscheinlich, denn wie sollte er, selbst wenn er entkommen wäre, an eine Geldüberweisung aus dem mit Sanktionen belegten Iran kommen? In anderen Fällen von Terrorangriffen wurden zwar auch schon Familien von Attentätern mit Geldbeträgen «belohnt», doch in diesem Fall dürfte eher die Fatwa und die anti-westliche Propaganda Irans im Vordergrund stehen.