Seit drei Monaten ist die Zahl der Migranten an der Südgrenze der USA stark angewachsen. In der Grenzstadt El Paso in Texas hielt die Grenzpolizei im März über 70’000 Migranten fest. Sie kommen mehrheitlich im Familienverbund aus Zentralamerika beantragen Asyl in den USA. Die Grenzkontrolle und die lokalen Behörden sind überfordert und improvisieren; zum Teil funktionieren die Rechtsverfahren nicht mehr.
In El Paso führt die Grenze zu Mexiko mitten durch die Stadt. Irgendwo in Richtung Horizont beginnt nahtlos die mexikanische Stadt Ciudad Juarez.
Mehrere Brücken für Autos und Fussgänger erlauben den regen Handels- und Personenverkehr zwischen den Nachbarländern. Auch Migranten kommen über die Brücken, um bei den Grenzposten Asyl zu beantragen. Doch seit die US-Behörden die Zahl der Asylanträge pro Tag stark limitiert haben, entschliessen sich immer mehr Migranten für den illegalen Grenzübergang. Asyl beantragen können sie, sobald sie Boden der USA betreten.
Die Grenze ist in El Paso und Umgebung seit 2009 durch einen Stahlzaun befestigt. Doch er ist nicht durchgehend, Migranten können mitten in der Stadt durch den knietiefen Rio Grande in die USA waten. Und das tun sie derzeit immer öfter: Im März war die Zahl festgehaltener Migranten in El Paso elfmal höher als im selben Monat des Vorjahres.
In der Greyhound-Busstation in Downtown El Paso versammeln sich Migranten, nachdem sie die Behörden wieder freigelassen haben. Die Menschen sind erschöpft, es riecht nach Erbrochenem. Der 16-jährige Melquin stammt aus El Salvador und hat als unbegleiteter Minderjähriger Asyl beantragt.
Nach dem Interview zu seinem Asylantrag bei der Einwanderungsbehörde ICE reist er nun zu seiner Cousine nach Dallas, Texas. Das Reiseticket hat er bereits in der Hand.
Wir brauchen keine Mauer, wir brauchen Infrastruktur
Der Bürgermeister von El Paso, Dee Margo, spricht von einer ernsthaften humanitären Krise. Da der Grenzpolizei CBP und der Einwanderungsbehörde ICE die Infrastruktur für die Migranten fehle, müssten nun die Stadt sowie Hilfsorganisationen für deren Notversorgung aufkommen. Ausserdem bedrohe die teilweise Schliessung der Grenze das Wirtschaftswachstum.
«Der Kongress muss das Asylrecht anpassen», verlangt der parteilose Bürgermeister der traditionell immigrationsfreundlichen texanischen Stadt. Wohlgemeinte Gesetze für den Jugendschutz würden zu einer unkontrollierten Masseneinwanderung von Jugendlichen und Familien sorgen. Zur Immigrationspolitik von Präsident Trump sagt er: «Wir brauchen keine Mauer, wir brauchen Infrastruktur».
Im Nordwesten der Stadt hat die Grenzpolizei CBP neue Zelte errichtet, um rund 1000 Migranten und ihre Familien kurzfristig festzuhalten und zu versorgen. Die Zeltanlagen sind umstritten, weil sie an Straflager erinnern.
Absetzen der Migranten ohne Verfahren ist üblich
Die Migrationskrise betrifft inzwischen auch Regionen, die nicht unmittelbar an der Grenze liegen. Die Grenzpolizei in El Paso hat nämlich begonnen, Migranten in anderen Orten abzusetzen; etwa in Las Cruces, der zweitgrössten Stadt im angrenzenden Gliedstaat New Mexico.
Dort strengen sich lokale Hilfsorganisationen wie die «Casa de Peregrinos» und die Stadtbehörde an, Hunderte von unerwarteten Migranten zu verköstigen und unterzubringen. «Die grösste Herausforderung ist der Weitertransport der Migranten», sagt Gabriel Vasquez, Abgeordneter in der Stadt Las Cruces.
Diese Migranten aus Honduras sind vor einem Tag über die Grenze gekommen. Ohne Eröffnung eines Verfahrens hat die Grenzpolizei sie in Las Cruces abgesetzt. «Ja, das ist inzwischen üblich», sagt der Abgeordnete Gabriel Vasquez und bestätigt, dass die Asylverfahren nicht mehr regulär funktionieren.
Der Vater der Migrantenfamilie aus Honduras erzählt, die Reise sei sehr hart gewesen. Am schlimmsten sei es, dass er seine Tochter nicht habe beschützen können. Viele Mädchen werden auf der Reise Opfer sexueller Gewalt. Geflohen seien sie, weil in Honduras ihr Leben bedroht gewesen sei. Die ganze übrige Familie sei ermordet worden. Vater und Tochter beginnen zu weinen. Nur rund 15 Prozent der Migranten erhalten unter den verschärften Regeln der Regierung Trump Asyl.
In Las Cruces regt sich schon Widerstand. Rund zweihundert «Cowboys for Trump» protestieren vor dem Bezirksregierungsgebäude gegen die unkontrollierte Migration. Sie verlangen eine Mauer und mehr Grenzschutz.
Die Demonstranten sind auf Traktoren zum Protest gefahren – oder sind beritten. Die meisten tragen eine Waffe, das ist im Staat New Mexico erlaubt.
Vater und Sohn Hamilton wollen, dass die Einwanderung aus dem Süden gestoppt wird. «Wir sind hier, um Präsident Trump zu unterstützen», sagen sie. «Wir werden überrannt, von mir aus kann man die Grenze ganz schliessen», sagt Vater Hamilton.
Kein Ort ist sicherer als Sunland Park
Derweil steht Sergeant Stephen Ramirez in Sunland Park – 50 Autominuten südlich in der Agglomeration von El Paso – an der Grenzmauer und schaut nach Mexiko hinüber.
Die Mauer hört kurz vor einem Felsmassiv abrupt auf. Durch die Lücke schlüpfen nachts Migranten illegal über die Grenze. «Kein Ort ist sicherer als Sunland Park», sagt Ramirez. «Wir haben die Grenzpolizei, die örtliche Polizei, die Nationalgarde und wenn das nicht reicht, liegt gleich nebenan Fort Bliss, einer der grössten Militärstützpunkte der USA». Ein Sicherheitsproblem sieht er nicht an der Grenze.
Graffiti gegen Trump an der Mauer
Durch den stählernen Zaun hindurch, auf der mexikanischen Seite, kann man ein Graffiti an der Wand eines Hauses erspähen.
«Eigentlich komisch, dass das auf der anderen Seite steht», murmelt Sergeant Stephen Ramirez vom Polizeikorps Sunland Park in New Mexico.